Tine Munk

Keramikerin

 

..vor Dir das Meer und hinter Dir die Waschmaschine..

frei nach Rühmkorf

 

Ich bin melancholischer und dünnhäutiger aber auch durchlässiger geworden. Es gibt hier einen klaren See, an den ich fast jeden Tag gefahren bin. An Stellen, wo keiner ist. Ich habe das vorher nie so empfunden, wie es sich anfühlt, in dieses glasklare, tiefe Wasser einzutauchen – hineinschreiten in dieses stille Universum. Jeden Tag das unterschiedliche Licht, die Kräuselung der Wasseroberfläche und die verschiedenen Farben zu erleben. Das war für mich eine fast suchterzeugende Meditation. Es ist wie ein Sinnbild dieser Zeit. Die Oberfläche war unruhig und in der Tiefe war es ruhig. Was für ein Symbol! Unten blieb es immer gleich und oben diese Kräuselung mit ihrer Veränderung. Ich habe mich so gerne an dieser Schwelle bewegt – in diesen beiden Elementen.

Ohne Rhythmus geht es im Leben irgendwie nicht. Und der war dann weg. Ich erlebte es als Stillstand. Es gab keine Kunsthanderkermärkte. Ich fahre gerne auf diese Märkte, um Kollegen zu treffen. Dieser Austausch ist mir wichtig, weil wir alle so vereinzelt arbeiten. Das fehlte mir sehr. Das ganze Eingepacke, Ausgepacke, Präsentieren – das schlaucht zwar, aber diese soziale Komponente war also erstmal weg. Das war interessant. Aber das Leben geht anders weiter. Den ersten Lockdown fand ich fantastisch. Ich dachte: Was für ein Geschenk. Ich konnte den Frühling wahrnehmen und ohne Stress genießen. Kein Autoverkehr, die Stille – ich bin Fahrrad im Tollensetal gefahren. Das hätte ich ohne dieses Stoppschild nie getan. Das Durchgeplante war weg. Ich hätte gern einen Bildband gemacht: »Die Gärten meiner Freundinnen«. Die Jüngeren, die Älteren – alle hatten Zeit und Muße für Ästhetik. Das hat mich sehr berührt. Was für ein Schatz!

Der Mangel an sozialen Kontakten brachte einzelne, besondere und wertvolle Begegnung mit Hochgenuß.

Zu Beginn des ersten Lockdowns konnten wir den Tag der offenen Töpferei 2020 noch veranstalten. Allerdings mit leichter Verunsicherung. Die Festigkeit war weg und es kommt Bewegung auf. Es kommen immer viele Menschen und treffen sich in Werkstätten und Hofläden. Da entstehen dann oft ungefilterte Schnittstellen, wenn sich beispielsweise der Lockführer mit dem Arzt unterhält. Es stehen ja alle momentan vor den gleichen Herausforderung, einer komplett neuen Situation. Für diese Kommunikation stellen wir gern ein Raum und ich finde das sehr erfrischend und spannend. Hier findet wirkliche Begegnung statt.

Der zweite Lockdown war im November und hatte eine andere Stimmung – manifester – ich habe es so hingenommen.

Existentiell hatte ich zum Glück und auch überraschend keine Probleme. Ich bin dankbar dafür – auch im Bewusstsein – wie es vielen andern Künstlern ergangen ist. Die Situation in der Werkstatt hat sich dennoch völlig verändert. Ein neuer Arbeitsrhythmus – raus aus dem Korsett des Märkteplanens – freier arbeiten.
Manchmal spürte ich es als Befreiung, aber auch Zeiten der Verunsicherung und der Lähmung waren dabei.
Trotz alledem – Die Werkstatt konnte geöffnet bleiben. Die Menschen sind wohldosiert gekommen. Manchmal fühlte es sich wie eine Sozialstation an. Wir sagten zu unserem Pfarrer: Du kannst gerne öfter kommen, etwas formen und die tägliche Seelsorge mit übernehmen. Der Rededarf außerhalb von Supermarkt und Apotheke war enorm. Unsere treuen Kunden konnten nicht verreisen – sind immer wiedergekommen.
Es gab auch Momente der Angst. Wo wird alles hinführen? Welchen Weg werden wir als Menschen und Gesellschaft weiter gehen? Ich spürte und erlebte mich in einem Spielraum zwischen Ohnmacht und Selbstermächtigung. Trotz aller Spannungen und Polarisierungen – Abgrenzungen und Veränderungen – war und bin froh, diese Zeiten in einer lebendigen Demokratie zu (er)leben.

Es gab ein Rückfluten von der Ostsee hier ins Hinterland. Viele Urlauber wollten ins ruhige Niemandsland, die Entschleunigung war allgegenwärtig, ob zu Fuss oder mit dem Rad. Die Qualität der Weite, Stille und des ungewohnten »Nichts« – ein Schatz. Menschen suchten es, fanden so auch die Werkstatt, haben Halt gemacht. Aus Kontakt wurden Begegnungen – neue Freundschaften.

Und es ward Corona …

Dann kam eine Pastorin und sagte: »Ich kann keinen Gottesdienst halten und das Abendmahl feiern, weil die »Alten« nicht kommen können. Bitte macht mir zehn Abendmahlskelche. Macht es schnell, damit ich wieder arbeiten kann.« Sie bekam sie. Dann kam der Nächste und sagte: »Ich brauche 80 Abendmahlskelche. Wir haben bei uns in der Kirche zwei Kisten mit vielen Kelchen aus Metall darin gefunden, die zu Zeiten der Spanischen Grippe in den 20iger Jahren entstanden sein müssen, als die Menschen beim Abendmahlsritual jeder seinen eigenen Kelche bekam. Welch eine Wiederholung. Gut, also machten wir Kelche aus Keramik, kein Problem – die sind ja auch noch spülmaschinenfest. Wir hatten unsere Mühe, denn jeder Kelch musste wackelig hochgezogen werden und das ist ein Tanz. Die Kelche sollten mit drei Symbolen versehen werden: ein Kreuz, ein Fisch und eine Taube. Sie sind sehr lebendig geworden – jeder ein Unikat. Trotzdem – eine Fleißarbeit, die ein halben Monatslohn brachten.

Möge es einmalig bleiben.