Antje Rabe

Keramikerin

 

Schwestern

Wie war das für Dich im Jahr 2019 – kurz bevor die Pandemie begann?

Da war alles wichtig, was um mich herum lief und kontinuierlich im »Außen« war. Projekte, die Märkte, Ausstellungen und vieles mehr, was mit dem Geldverdienen zu tun hatte. Ich versuchte in den Jahren vor der Pandemie hin und wieder etwas zu verändern. Für mich war bereits damals spürbar, dass es so nicht weitergehen konnte. Ich lebte wie in einer Schlaufe der Gewohnheit, die war sogar von Krankheit und Unfällen gerahmt, aber ich konnte sie nicht wirklich verlassen. Ich kam einfach nicht in die Bewegung, die »etwas« verändern konnte. Ein Innehalten war dran! Eine Bereitschaft war da. Ich weiß nicht, warum ich das Tretrad nicht verlassen konnte.

Wie sah es für Dich beruflich aus? Du bist Künstlerin?

Das kann ich nicht so einfach beantworten. Es gibt in meinem Leben verschiedene Säulen. Natürlich einmal die der Künstlerin, dann die der Keramikerin und nach einer therapeutischen Ausbildung kam die Trauerarbeit dazu. Ich höre zu und spreche mit den Menschen. Durch das, was ich höre, entstehen vielleicht Formen oder Prozesse werden in Gang gesetzt. Das ist ein schöpferischer Vorgang, der mich tief berührt und noch mal eine ganz andere Arbeit, als zum Beispiel, eine Ausstellung zu entwickeln. Durch den Umgang mit diesen Themen wurde ich sogar herausgefordert andere Produktionstechniken zu finden. Gleichzeitig wurde meine künstlerische Arbeit dadurch sehr bereichert.

Was passierte als die Pandemie begann?

Ich war stark verunsichert. Natürlich hatte auch ich nicht mit einer Pandemie gerechnet und »ES« kam von außen auf mich zu. Es gab für mich eine Verbindung zu einem Aspekt in der Trauerarbeitet. Ich musste mich von meinem alten Leben trennen. Ich denke rückblickend, so etwas hat der Beginn dieser Zeit in mir ausgelöst. Ich war damals auch noch krank, so dass dieser Sicherheitsverlust noch schwerer wog. Gleichzeitig war da auch diese oft erlebte Erfahrung: es gibt  jetzt eine schwierige Zeit und ich weiß, dass ich das schaffen kann. Ich kann auf das Leben vertrauen. Diese beiden Kräfte wurden in mir lebendig und waren wie zwei Schwestern, die sich in mir immer wieder abwechselnd zu Wort meldeten.

Zusätzlich gingen meine Kinder aus dem Haus und meine Arbeit hatte plötzlich keinen echten Boden mehr. Wichtige Märkte und Ausstellungen fielen weg. Dieser Zustand wirkte in mir wie ein Katalysator! Vertrautheit weg, Erfahrungen schienen sinnlos und es kam auch die Frage nach Verantwortung. Ich war auch verzweifelt, wütend und traurig! Wer und wie bin ich, wenn es eine Veränderung gibt?

Die Coronazeit ist für mich eine Zeit der Verantwortung! Willst Du auch für Andere Verantwortung übernehmen? Ja, vielleicht für die Kinder: Ich wollte mir mehr Zeit für die Kinder nehmen, zuhören. Sonst wollte ich mich gar nicht mehr mit anderen verbinden, die nur jammern … Ich wollte die Chance sehen und auch unbedingt für mich ergreifen. Jeder muss selber durch seine Täler. Ich habe Verständnis für den Mangel. Auch der wird gerade verstärkt! Ich wollte mich damit auseinandersetzten. Das war keine einfache Zeit – Aber sehr intensiv- Die beiden Schwestern in mir haben durchaus miteinander gekämpft. Ich hatte Vertrauen und dann auch wieder Ängste. Es ging oft hin und her.

Es sind auch positive Dinge geschehen, zum Beispiel sind viele Fördergelder freigesetzt worden. Ich habe ein Memoirenprojekt entwickelt. Ich habe es als Chance gesehen, meine eigene Arbeit zu vertiefen. Das Projekt gehört zu meinem Arbeitsbereich der Trauerarbeit. Das Projekt wurde für mich gefördert und so konnte mit einigen Menschen Interviews führen und sie in ihrer Trauer begleiten. Das war für beide Seiten eine intensive Zeit. Ich bekam auch Einblicke in die Pflegearbeit in Deutschland.

Ja, auch wir Künstlerinnen haben eine Blase, in der wir leben. Ich wäre niemals mit diesen Härten im Pflegeheim konfrontiert worden, wenn eben dieses Projekt nicht in mein Leben gekommen wäre. Was mich wirklich berührt hat, waren die Tiefe und die Authentizität der Menschen! Irgendwie scheint es, als wäre ich durch dieses Geschehen feinsinniger und empathischer geworden.

Als Kontrast dazu habe ich, um mit meinen Kindern überleben zu können, als Mitarbeiterin in einem Schnelltestzentrum gearbeitet. Es war ein ganz pragmatischer Weg, um Geld zu verdienen, eine Erfahrung mit anderen Strukturen. Ich fühlte mich geerdet und damit mitten im Leben.

Hast Du dir aus dieser Zeit etwas bewahrt, was Du nun in Deine Leben integriert hast?

Ja, ich lese jeden Morgen ein Haiku. Das ist ein Moment des Innehaltens, bevor ich den Tag beginne. Wenn ich in das alte bekannte Fahrwasser komme, tut es mir gut, mich zu hinterfragen. Was machst du heute? Dieser Dialog ist sehr lebendig, ich frage mich intensiv, ob ich so weiterleben möchte.

Ich vertraue meinem inneren Schwesternpaar! Welcher Teil meiner Arbeit wird in Zukunft der Wichtigere sein? Was wird auf mich zukommen? Was würden deine Schwestern sagen, wenn Du jetzt in diesen Tagen ein Zeichen setzten könntest? Der Moment, mit mir in Kontakt zu sein, ist unglaublich wichtig!  Das ist eine Essenz und eine Tiefe. Ich will in meiner eigenen Intensität weitergehen, eben intensiver leben. Ich mit mir

In der Trauerarbeit gibst du Dich und Deine Aufmerksamkeit für die Menschen. Was ist Dir in diesem Bezug wichtig?

Treu bleiben- klar und gut bei sich selbst. Bleib bei Dir, bleib dir treu, in dem was Du denkst, sagst und was du machst. Dann kommt ein Dialog mit dir und deinem Umfeld zu Stande. Dies kann überall, jeder Zeit passieren. Ich finde diese Art der Kommunikation immer wichtiger. Dabei kriege ich auch schon mal einen Stein ab. Manchmal bin ich nicht klar genug, vielleicht etwas durcheinander und spiele eine „ Rolle“. Ich will mich immer wieder fragen, bin ich hier richtig, will ich das wirklich? Will ich mich auf diesen Kontakt auf dieser Ebene einlassen? Tut mir das Geschehen gut? Um diese Fragen beantworten zu können, muss ich wissen, wer ich bin. Das klingt so einfach oder so elementar? Vielleicht! Ich habe eine Dozentenstelle an einer kleinen Fachschule. Dort, aber auch sonst in meinem Leben, stellen sich Menschen über ihre Berufe und Qualifikationen vor und zeigen natürlich darüber hinaus, was sie für Menschen sind oder sein wollen. Aber stimmen denn diese Bilder? Ist ein studierter Jurist gleich ein guter Jurist? Es stellt sich mir die Frage: Was ist meine Arbeit wert und was bin ich mir wert, mit oder ohne Qualifikation? Auch da zeigte sich etwas durch Corona! Es könnte so einfach sein – aber das ist richtig schwer. Insgesamt eine irre Chance. Herrlich! Tja und das Zusammenleben mit diesen inneren Schwestern- das macht mich mutig!

Mein größter Wunsch? Ich möchte noch mehr verändern! Ich bin bereits konsequenter und ich weiß, dass da noch etwas kommt. Das ist richtig aufregend! Du wachst morgens auf und dies Veränderung steht neben dem Bett! Es entwickeln sich neue Gemeinschaften. Es kommen neue Ausstellungsorte auf mich zu und irgendwie arbeitet es stetig in mir. Es ist alles offen, ich habe keinen Plan und fühle mich trotz Allem in Sicherheit.