Renate U. Schürmeyer

Bildende Künstlerin

 

In dem zweiten langen Lockdown im Frühjahr 2021 begann ich, täglich mit dem Fahrrad meine unmittelbare Umgebung zu erkunden. Von Tag zu Tag sind diese kleinen oder größeren Fahrradtouren wichtiger geworden. Ich hatte Zeit, Rad zu fahren und zu schauen. Mein Blick richtete sich in den Himmel. Besonders mag ich die Orte, wo ich Weite empfinden, Gänse und Kraniche beobachten kann. Immer wieder fotografierte ich Wolken. Im Atelier sind »Wolkenaquarelle« und wolkenartige Objekte aus goldenen Erdnüssen entstanden.

Seit dem Herbst beschäftige ich mich zudem intensiv mit der Regionalgeschichte von Nordwestmecklenburg. Erschüttert bin ich, wie viele Hexenprozesse es in dieser ländlichen Gegend in fast allen kleinen Dörfern gab. Wie schnell jemand – aus für mich unerklärlichem Grund – »besagt« ausgegrenzt, gefoltert und hingerichtet wurde, war erschreckend zu lesen. Missernten, Krankheiten, Seuchen, persönliche Unglücke anderen zu zuschreiben, sie als Hexen zu »besagen«, zu foltern bis sie gestehen, ist nur schwer zu begreifen. Bei allen meinen Radtouren versuche ich mir vorzustellen, was passierte hier auf dieser Anhöhe am Schwertberg, Gerichtsberg, Klingenberg vor einigen Hundert Jahren.

Ich versuche in der Landschaft zu lesen.

Während der Sommermonate 2021 konnte ich die Installation »Immer wieder gleich und doch anders« an verschiedenen Orten im Außenbereich, auch am Kloster Rehna zeigen. Im Laufe eines Tages wuchs aus etwa 2000 Stäben mit vergoldeten Erdnussschalen ein Feld »goldener Erdnüsse«. Die Besucher waren eingeladen, dieses Feld mit abzustecken. Ich wollte Räume schaffen, die zugleich Gedankenkonstruktionen und ästhetische Landschaften bilden, vor allen Dingen aber, Räume, die uns miteinander ins Gespräch kommen lassen.

Wenn ich über meine persönliche »Corona Situation« jetzt im März 2022 nachdenke, kann ich sagen, dass es mir trotz allem gut geht. Gut ist, dass ich glücklicherweise nicht alleine lebe und wir unseren Lebensmittelpunkt auf dem Land inmitten eines großen Gartens haben.

Grundsätzlich leben wir in Deutschland schon sehr privilegiert.

Ich vermisse auch nichts wirklich, wenn etwas geschlossen wird. Da bin ich eher pragmatisch. Den Krieg in der Ukranie dagegen finde ich sehr viel beängstigender. Wo wird uns der Krieg hinführen? Dem kann ich mich, in mein schönes Landleben, nicht so einfach entziehen.

In den letzten zwei Jahren, während der Coronazeit, ist teilweise deutlich worden, wie gut kulturelle Veranstaltungen unterstützt wurden, dass es beispielsweise Honorare für KünstlerInnen gab, ohne zugleich von BesucherInnen Eintrittsgelder zu erheben. Oft verhindern Eintrittsgelder, Mitgliedsbeiträge eine Teilnahme und somit Teilhabe. Das finanzielle Ungleichgewicht in der Bevölkerung hat  gravierende Auswirkungen auf unsere Gesellschaft. Wenn dieser Ansatz der kostenfreien gesellschaftlichen Teilhabe stärker in den Focus rücken würde, hätte Corona vielleicht etwas Positives bewirkt.

Seitdem ich 2003 nach Mecklenburg zog, arbeitete ich immer freiberuflich künstlerisch, initiierte Ausstellungen und Projekte, erhielt Stipendien. So entstand 2017 in Zusammenarbeit mit verschiedenen Projektpartnern ein offener Kunstraum – DAS ECK in Grevesmühlen. Es ist ein Ort, an dem sich die unterschiedlichsten Menschen treffen, um künstlerisch arbeiten können. Gerade von den Menschen, die 2015 nach Deutschland geflüchtet sind, wurde dieser offene Begegnungsraum gut angenommen. Im Herbst 2019 glaubte ich, dass wir schon recht viel in der Integrationsarbeit erreicht hatten, in dem Verständnis des Miteinanders der unterschiedlichen Lebenswege. Wenn ich heute also zweieinhalb Jahre später über DAS ECK nachdenke, schmerzt es sehr, was so eine Pandemie bewirken kann. Nach dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 spürte ich, dass vieles verloren gegangen war. Es ist schwierig, nur über WhatsApp und Telefon in Kontakt zu bleiben. Ängste waren zu spüren,

aber noch gravierender ist, das in sich selbst zurückzuziehen.

Vor Corona war es selbstverständlich, im ECK miteinander deutsch zu sprechen. Durch die lange Zeit der Lockdowns ist dieses umgangssprachliche Deutsch verloren gegangen. In den geflüchteten Familien wurde wieder mehr in den Muttersprachen gesprochen. Die Kinder gingen nicht mehr zur Schule. Dadurch ging einfach vieles verloren.