Jürgen Wicht

Puppenspieler

 

Zunächst war die ganze Situation für mich ungewohnt. Ich bekam gleich in der ersten Woche unglaublich viele Absagen für meine Theatervorstellungen. Ein kompletter Verdienstausfall für ein halbes Jahr. Ich dachte, jetzt habe ich Zeit und kann an meinem fast fertigen Stück arbeiten. Als ich dann aber vor meiner der Bühne saß, passierte einfach nichts.

Da war ein großes schwarzes Loch…

…vermutlich ausgelöst durch diese unklare Situation. Alle meine Kreativität war weg. Ich sollte plötzlich HARTZIV beantragen. So hatte ich Zeit, aber auch keine Möglichkeit diese zu nutzen. Ich war perspektivlos. Ich fragte mich: Warum machst Du das noch? Wo wird es hingehen? Das Spielen ist für mich nicht nur die glückliche Situation, mein Hobby als Beruf ausüben zu können. Das Spielen ist auch immer ein bisschen Therapie für mich. Urplötzlich war alles ungewiss, da war nur noch graue Grütze im Kopf.

Ich Sommer ging es etwas vorwärts. So richtig bin ich aber erst im Januar 2021 wieder aus dem Loch heraus gekommen. Ich konnte damals von der Gemeinde einen leeren Raum nutzen und kam nun in die  Probenarbeit rein. So begannen dann nach und nach wieder bunte Blasen im Kopf zu blubbern.

Der Umgang mit  Menschen gibt mir Kraft, wenn ich sie sehen kann, leibhaftig sehe. Je nachdem, wie nah man sich ist – man spricht, berührt sich und drückt sich auch. Da gibt es sogar jetzt noch große Unsicherheiten. Ja, eigentlich ist da auch immer die Frage. Wie geht es dir gerade damit? Dann kommt er, der »verhaltene Moment«. Manchmal ist der gewohnte Umgang möglich, manchmal aber auch  nicht. Es sind die Gespräche über Alltäglichkeiten, vielleicht über die Schuhe beim Schuster. Daraus wird mitunter etwas Unvorhergesehenes. In mir ist ja auch immer gerade »Etwas«, dann spricht man eben, dann wird aus dem in Mir und dem im Anderen eine gute Ideegeboren. Da kommt etwas zurück, was man gar nicht erwartet oder vorhersehen konnte. Das sind die Momente, die mir dann fehlen, wenn »abgeschlossen« wird und ich mich nicht mir Anderen treffen darf.

Ich will mit den Menschen im Raum sein und spielen.

Wenn ich digital auftreten soll, steht da etwas Unsichtbares zwischen uns. Das geht nur professionell mit dem Medium Film und ich brauche eine gute Kamera, einen vernünftigen Computer und andere Techniken. Vor allem aber brauche ich jemanden, der weiß, wie man so ein Video gut schneidet, um einen guten und  spannenden Film entstehen zu lassen. Durch die Fülle der digitalen Angebote braucht man professionelle Vorgaben, damit man weiß, wie man zu wirklich qualitätsvollen Ergebnissen kommt. Das ist einfach nicht mal schnell zu realisieren.

Theater als Video ist kein Theater. Das ist dann eben Film und etwas ganz anderes!

Es gab und gibt schon immer gute Experimente bei denen man das Theater spürt. Für mich ist die Kommunikation im Leben und im spielen während der Vorstellung, sehr wichtig. Ich bin Schauspieler und kein Techniker. Diese kleinen Sequenzen im Spiel, in denen es funkelt, das kommt durch das Publikum! Der stumme Dialog des Geben und Nehmen, der läuft nicht verbal! DAS IST GEFÜHLT! Das ist für mich ganz wichtig! Alle anderen Geschichten sind einfach andere Geschichten.

Was in unserem Land fehlt, sind klare Entscheidungen der Politik. Entweder sollen sie sagen – wir machen zu – dann weiß man das und dann ist das so. Aber es sind überall andere Gesetze gültig. Ich wohne realtiv nah an der Kreisgrenze und schon hunderte Meter weiter gelten andere Verordnungen. Viele Veranstalter sind einfach verunsichert, weil sie nicht wissen, wie es nächste Woche aussehen wird. Dann sagen Sie die Veranstaltung sicherheitshalber ab. Schließlich stellte sich heraus, ich hätte doch spielen können. Die Betreiber von den Spielstätten waren komplett verunsichert, weil Niemand weiß, was der Politik demnächst wieder einfällt. Lange zu planen war unmöglich. In einem anderen Bundesland hätte es sein können, dass du auftreten darfst. Das ist nicht nachvollziehbar!

Man ist wütend und hilflos den unklaren Entscheidungen ausgeliefert.

Das zerstörte meine lebendige Kreativität.

Dann waren plötzlich viele Fördergelder da und sollten ausgeben werden. Auch hier gab es wieder Unsicherheiten. Kommen diese Fördergelder wieder? Ja–nein–vielleicht?

Nein, wir machen keinen Lockdown – oder doch? Darf ich auftreten? Und Nun? Alles in Bewegung…

 

Interview am 4. Februar 2022