Karina Weiss

Bildende Künstlerin

 

Gesprungen bin ich oft…

…heraus aus einer Ehe, vom Dorf in die Stadt, in die Selbstständigkeit als Freie Künstlerin und zuletzt, nach überlebter Krankheit, in einen sogenannten »festen Job«. Ich wurde Kunstlehrerin an einer Schule, „aus Sicherheitsgründen“ unter anderem. Gutes Timing!

Einen Monat später gingen im Kunstbetrieb die Lichter aus und der Lockdown begann. Nichts schien mehr möglich. Bei mir schon. Online unterrichten ist zwar kein Spaß, aber wenn ringsherum die Existenzen an die Wand krachen, ist es schwer, über Schulstress zu klagen. Vor allem, wenn das Leben plötzlich einen nie gekannten, ruhigen Pulsschlag hat. Obwohl die Freiheit doppelt weg war (Lockdown, Arbeitgeber), fühlte ich mich frei. Ein neuer, steter Rhythmus trug mich mit sich fort: Schule, Yoga, Garten, Lesen… es war so ungewohnt, dass ich kaum spürte, wie sich etwas verschob. Ganz allmählich, Schritt für Schritt, begann sich die fast verschüttete Schaffenslust zu regen. Mal war es eine Form, die sich ins Auge brannte. Ein Baum vielleicht, der kantig in die Gegend ragte, ein Schattenriss auf dem Asphalt. Mal eine Farbe, die „schräg“ zu einer anderen stand, mal eine Gruppe von Passanten. Da war der Fotoapparat nicht weit, und Skizze reihte sich an Skizze. Neue Figuren entstanden, eine nach der anderen.

So hätte es immer weiter gehen können, wenn der Tag 46 Stunden hätte und der Akku keine Grenzen. Aber so ist es nicht. Irgendwann war die Zeit zu knapp, um alles hineinzustopfen, was hineingestopft werden wollte. Unterricht, Klassenarbeiten, Konferenzen, und zeitgleich Anfragen von Galerien oder Kunden. Kurz: Lehrerin und Künstlerin, das sind zwei Berufe. Ich bin aber nur EIN Mensch.

Das Schicksal wusste, dass da etwas passieren würde. In dem Moment, als meine beiden Kinder flügge wurden und mein Freund in Bayern eine neue Arbeit fand, trafen wir auf zwei Menschen mit einem wunderbaren Traum: Zusammen mit anderen einen Kunsthof zu eröffnen, mitten im Bayrischen Wald. Eine dieser anderen bin ich. Ende Juni wird der Umzug sein.

Ein neuer Sprung. Wie viele wohl noch kommen werden?

Schaffenslust – Stunden um Stunde vor einer Skizze. Mist, was fehlt hier? Warum stimmt es nicht? Radieren, probieren, alles nochmal anders. Nein, hier geht nichts. Muss das sein! Wütend renne ich auf die Straße und mit langen Schritten zum See. Der ganze Tag im Eimer! Nichts geschafft! Die Sonne scheint, das Wasser glitzert. Mir egal! Ich habe andere Sorgen! Ein Luftzug fächelt kleine Wellen. Das Schilf raschelt, dann ist es wieder still. Eine Ente? Ein Schwan? Langsam, ganz langsam kehre ich in die Welt zurück. Der Kunstkäfig geht auf.

Wieder in der Wohnung, braue ich erstmal einen Kaffee. Ein bisschen dehnen, strecken. Dann zurück zum Zeichentisch. Da liegt das Biest, sieht eigentlich ganz harmlos aus. Irgendwie nicht schlecht.
Augen zusammenkneifen, blinzeln, wegschauen, wieder hinschauen, wegschauen, den Kopf drehen, blinzeln – und dann, ganz plötzlich, ist die Sache klar. Hier muss es kürzer, da ein wenig schräger. Schnell den Stift! Zack! Die Zeichnung rastet ein. Fertig! Alles, wie es muss. Dieser Moment ist wie eine Droge. Er macht so high, dass ich aus voller Kehle juchzen möchte, aus dem Fenster jodeln, und sei es mitten in der Nacht. Vergessen die Tatsache, dass ich eben noch jemand würgen wollte, am liebsten mich selbst. Ein guter Tag.

Und morgen? Schau‘n wir mal.