Gespräch mit Kerstin und Coco
Danke für eure Fragen, das ist mir ein Moment, in dem ich mich selbst noch einmal ganz neu in den Blick nehme.
Die erste Frage betraf mein Selbstverständnis als Künstlerin in den Jahren vor Corona.
Ja, ich hätte wahrscheinlich gar nicht so viel Wert daraufgelegt, mich als Künstlerin zu zeigen, weil ich mich in der Zeit viel mehr mit meiner Arbeit im Seminar für kirchlichen Dienst beschäftigt habe.
Ich unterrichte an einer Berufsschule Kreatives Gestalten, Werken und Natur und Umwelt und das interpretiere ich sehr erlebnisorientiert. Ich organisiere auch Hoftage, wo ich mit den jungen Leuten in Wald und Wiese experimentiere, das ist total spannend.
Dann gibt es einen zweiten Bereich, Entwicklungspsychologie und das Thema Bindung, das sind Riesenfachbereiche, bei denen ich auch merke, dass ich den jungen Leuten ein gutes Fundament gebe, damit sie die Kinder und Jugendlichen später gut verstehen und zugewandt arbeiten. Das ist so aufregend! Um diese Bereiche unterrichten zu können, habe ich selbst auch nochmal studiert, Kindheitspädagogik, von 2012 bis 2015.
Diese Arbeit ist etwas, was ich ganz toll finde, was mich sehr begeistert und natürlich viel Zeit einnimmt. Manchmal war ich im Zweifel, ob ich noch genügend Aktivität im Bereich Kunst habe. Aber ich kenne das auch schon aus meinem Leben, dass es Zeiten gab, wo die künstlerische Arbeit ruhen musste oder ich das nur zu bestimmten Stunden »rausholen« konnte.
Mir war dann klar, dass ich nur an der Oberfläche kratze, nur einen Wurf machen kann, eine Variante und dann musste es das schon gewesen sein. Wenn ich Glück hatte, war es so einigermaßen, aber dass ich richtig mit einem Thema arbeiten darf, dass ich mich richtig reinbegebe, viele Versuche mache, eine Technik nochmal neu lerne, das war sehr zurückgestellt.
Liebe Kerstin, Du erinnerst mich an die Medea-Treffen, ja, das war schon besonders! Eine freie Zeit für mich in anregendem Umfeld, die Kinder versorgt und Gefährtinnen an der Seite – das war eine unglaublich tolle Erfahrung. Was ich bis dahin nicht wusste, war ja, dass ich so begeistert fürs Malen bin. Ich habe acht Tage lang eine üppige Stockrose immer wieder in den Blick genommen, die bei Simone vor dem Haus dem wilden Wetter trotzte. Tusche hatte ich mit und die Stockrose hielt schön still, legte sich nach einem Gewitter um und sah jeden Tag so interessant aus! Der Anfang war reines Naturstudium, ich habe mir alles ganz genau angesehen und beobachtet.
Am Schluss hatte ich die Augen fast zu und habe nur noch intuitiv den Pinsel bewegt. Einfach erstaunlich.
So habe ich gemerkt, was ich machen kann, wenn ich an einem Thema dranbleiben darf. Ob das große Kunst ist, hat mich überhaupt nicht interessiert, ich hab nur gemerkt, dass ich mich jeden Tag gern damit beschäftige.
2018 konnte ich das Thema aufnehmen, ich hatte in Erinnerung behalten, dass ich noch gröber arbeiten will. Ich dachte, am liebsten würde ich mit dem Handfeger arbeiten. Der Blick auf die Wiese zur Wässering runter wurde dann mein Thema, ich hatte eine noch größere Schüssel mit chinesischer Tusche und einen Handfeger und hab losgelegt. Innerhalb von 2 ½ Minuten war ich mit einem Bild fertig.
Du fragst, liebe Coco, dass ich aber dennoch, auch wenn ich so glücklich bin bei dieser Art zu arbeiten, warum ich in der Berufsschule arbeite.
Ich reagiere sehr sensibel darauf, wenn ich zu wenig Ansprache von außen habe. Nur zu Hause zu sein, halte ich nicht aus. Ich brauche seit Anfang an diese andere Welt. Ich lerne da ungeheuer viel, auch über mich.
Und ebenso: eine geregelte Arbeit mit entsprechendem Einkommen. Das ist eine ganz klare Sache. Das sichert mir und meinen Kindern das Leben. Ich subventioniere mich quasi quer es durch die Arbeit, die ich an der Berufsschule mache und die ist auch noch toll.
Ihr fragt nun nach den Veränderungen in der Coronazeit.
Im ersten Jahr habe ich das noch nicht so gespürt. Aber 2021 entfielen plötzlich viele Fahrzeiten zur Arbeit, jeweils eine Stunde hin und zurück, weil ich online gearbeitete. Und dann, ihr seht das jetzt schon ein bisschen, ab März kommt die Sonne immer mehr von Westen und das Abendlicht fällt hier herein.
Ihr könnt das gleich sehen, die Fenster, ich habe hier die Vierecke mit Kreide auf die Wand gemalt, also das Licht wandert hier entlang bis dort gegenüber, wo dann die letzten Sonnenstrahlen ankommen. Und dieses Licht, das habe ich im März, April, Mai wirklich so gesehen. Es war mir in den Jahren zuvor auch aufgefallen und die besondere Atmosphäre an den Abenden. Aber jetzt hatte ich Zeit, es zu genießen.
Ich habe das Licht so die Wand entlangstreichen sehen und irgendwie, an einem Tag war es dann soweit, dass ich den Eindruck hatte, ich möchte das jetzt malen.
Noch aus dem Studium hatte ich vage Erinnerungen, wie in der Malklasse mit Lasurtechnik gearbeitet wurde, der Beginn mit Van Dyck-Braun und die Verwendung von Lasuren.
Ich habe also meine Bilder, die Lichterscheinungen in den Räumen, mit Braun angelegt und die Lasuren ganz zart drüber gemalt. Ich konnte einfach nicht mehr aufhören. Oft hatte ich zwei Bilder gleichzeitig in Arbeit.
In mir gibt es auch jetzt Stapel von Bildern, die ich gern malen möchte. Und letztes Jahr war es so, dass ich das machen konnte.
Wenn ich bei einem stecken blieb, machte ich mit dem anderen weiter und fragte mich, wo kommen die bloß her!
Ich umgebe mich mit den Bildern, ich brauche die richtig. Das hat mich noch einmal unglaublich mit dem Haus verbunden. Ich sah das alles schon so lange, die Farben, die Lichter, die verschiedenen Strukturen der Baustoffe, die Löcher in der Wand – seht ihr, die kann man sich hier alle angucken? Ich habe sie mit gemalt.
Ich gehe hier lang und hebe den Fuß über die Schwelle und freue mich, weil ich die Schwelle gemalt habe.
Es ist so, als käme jetzt über die Bilder das Haus noch einmal auf andere Weise zu mir zurück.
Letztes Jahr habe ich noch keine Personen gemalt. Da war nur das Licht wichtig.
Mir hat es beim Malen gut getan, wenn ich nicht so extrem fokussiert war, ich habe teilweise mit meinen Kindern telefoniert oder ein Doku über ein Burg-Bau-Projekt in Frankreich angesehen. Ich habe einerseits aufgepasst, aber auch ein bisschen geträumt.
Ich liebte es nur mit vier, fünf Farben zu arbeiten und sie so sacht übereinanderzulegen. Das hatte dann auch etwas mit dem Textilen zu tun. Wenn ich webe, kann ich zum Beispiel ein Blau und ein Rot nehmen und die Fäden sind beide noch da und von Ferne sieht es aus wie Lila. Wenn Du nahe rankommst, siehst Du beide Farben. Das geht mir jetzt bei dieser Technik auch so. Wenn ich die reinen Farben übereinanderlege, kann ich alle irgendwie noch sehen.
Wie ging es weiter? Nach dem Sommer erst einmal gar nicht. Der Schulalltag war wie immer.
Und im Winter hatte ich plötzlich den Wunsch, meine Kinder zu malen. Es war auch so, dass sie hier waren, zum Beispiel saß Inga hier auf dem Teppich und guckte ihre Anime Serie. Ich baute die Staffelei auf und legte das Bild an. Nach kurzer Zeit merkte ich, dass ich es nicht schaffe, vor dem Modell zu malen. Ich brauche sehr lange und kein Mensch kann so lange stillsitzen. Ich entschloss mich, Fotos zu machen. In mir war ein Widerspruch, ob das gut ist, aber für mich war es eine Lösung. Ich möchte ganz genau hinsehen und alles beobachten. Ich will wirklich wissen, wie es ist, wie ist der Faltenwurf, wo ist der Schatten am tiefsten und ich will mir nicht ausdenken, wie das sein könnte, das interessiert mich überhaupt nicht.
Als nächstes würde ich gern in Richtung Landschaft gehen. Ich sehe hier immer aus dem Fenster und stelle mir so leichte aquarellierte Sachen vor, mal sehn.
Aber es ist mir noch nicht wieder gelungen, zu malen. Es ist schon alles vorbereitet, aber es geht nicht.
Ja, warum ist das so?
Als ich letztes Jahr mit dem Interieur angefangen habe, habe ich gedacht, es ist doch meine eigene Verantwortung, mir diesen Raum zu schaffen. Ich war verwundert darüber, dass ich wie ferngesteuert begonnen hatte, einen inneren Plan abzuarbeiten. Es waren also irgendwelche Umstände, die dazu geführt haben, dass ich den Raum dafür gesehen habe.
Ist der eventuell auch sonst da? Verbaue ich ihn anderweitig?
Ich kann mir auch vorstellen, dass es nicht nur meine Sache ist, die Anforderungen des Umfelds sind real. Rechnungen müssen bezahlt, Aufgaben abgearbeitet werden. Und dann gibt es diesem Moment, dann habe ich soweit alles gemacht und dann geht es los.
Aber ich sehe mich in der Verantwortung, mir selbst diesen Raum wieder darzustellen und es nicht darauf zu schieben, dass die Umstände es nicht zulassen.
Ich habe heftig darüber nachgedacht, was das jetzt bedeutet. Na gut, die Welt wartet jetzt nicht darauf, dass ich Bilder male. Es ist meine Sache.
Es ist einzig und allein meine Sache, wie ich mir den Raum schaffe und da muss ich noch ein bisschen pfiffiger werden, denke ich, und vielleicht Sachen auch sein lassen….
Nein Coco, offenbar ist das noch nicht gelungen, bisher habe ich da noch nichts wieder geschafft. Selbst kleine Formate liegen da, ich geh gar nicht ran.
So, wie ich letztes Jahr intuitiv Dinge aufgebaut habe und gesagt habe, „jetzt fang ich an“, so müsste das jetzt auch passieren. Ich kann mich ja nicht zwingen.
Was gibt mir Kraft?
Ich fühle mich sehr geborgen in meiner Familie, auch wenn sie nicht anwesend ist.
Wir stehen in ganz dichtem Kontakt. Auch mit meiner Mutti und meinem Papa, meinen Kindern und meinen Geschwistern, Nichten und Neffen – wir sind auch eine recht rege Telegram-Gruppe. Da teilen wir uns Wichtiges und Unwichtiges mit und sind sogar dadurch wunderbar verbunden.
Meine Arbeit in Greifswald gibt mir auch viel Kraft. Ich bekomme sofort 1:1 Rückmeldung, wie ich ankomme und was noch gebraucht wird. Da wir sehr schöne Aktionen machen und die Fachbereiche, die ich gebe, sehr hilfreich sind, habe ich oft sehr wohlmeinende und stärkende Gespräche. Ich mag gern mit den Leuten dort arbeiten, es macht Spaß. Oft ist es natürlich auch schwer. Es sind Lernaufgaben, für mich und für die anderen, wir ringen dann miteinander um Lösungen.
Zu Hause habe ich dann meinen Raum, da ist es total still. Selten höre ich mal Musik. Das ist die andere Seite. Hier ist es superstill, meine Katzen schnurren friedlich vor sich hin und hier fühle ich mich richtig zu Hause und angekommen.
Und wenn ich eine Idee habe – ich habe immer jede Menge Ideen, die schon Schlange stehen, aber wohlgeordnet, nicht so dolle klingeln – wenn dann also die Zeit ist, dann mache ich das.
Dann zeichne ich mir das vielleicht erst auf. Mir fällt ganz viel ein: wie Kleidung, was zu nähen, zu färben, oder etwas aus Weide zu bauen. Es gibt so viele Möglichkeiten und ich mag auch, dass das Grundstück kein Garten ist, sondern eine Landschaft, dann betrifft die Gestaltungswut auch mal größere Bereiche. Da muss ich mich schon sortieren, damit mir das nicht überfallartig in den Sinn kommt. Oder ich kann auch auf dem Ofen sitzen und lesen.
Aber dass ich die Chancen habe! Ich bin so kniefällig dankbar, dass ich das machen kann.
Der Unterschied zu der Zeit vor Corona ist, dass ich etwas erlebt habe, was sonst wohl eher nicht passiert wäre. Und das kann mir jetzt nicht mehr verlorengehen.
Aus einer Perspektive finde ich das Phänomen des Innehaltens sehr verwunderlich. Nicht nur, was mich betrifft, sondern dass es so etwas gab, dass in einem großen Teil der Welt, denke ich mal, das Leben langsamer wurde. So stell ich mir das vor und bin nicht sicher, dass es so ist.
Das war ja zuvor undenkbar. Ich finde das sehr interessant.
Was würde ich mir für mich wünschen?
Ich wünsche mir, dass da noch etwas kommt. Dass ich beobachten kann, dass ich abbilden kann, und dass es wiederum zurückstrahlt. Ich finde diese verschiedenen Wechselwirkungen so verrückt.
Das Haus war in einem sehr traurigen Zustand und hat viel Zuwendung erfahren und in der gleichen Zeit hat es auch mir Zuwendung gegeben und ein Heim und Sicherheit geboten. Meine Freunde aus dem Hauskreis haben jede Tür, jedes Fenster, die Herdstelle und die Wasserstellen gesegnet. Manchmal hatte ich hier auch bange Momente und dann führte ich mir wieder vor Augen, dass Segen auf dem Ort liegt.
Dann bin ich hier drinnen und beobachte die schrägen Sonnenstrahlen, wenn sie abends die Wände entlanggleiten und mal dies oder das hervorheben, dass es golden leuchtet.
Das habe ich all die Jahre schon gesehen. Erst jetzt habe ich das für mich entdeckt und male diese Lichterscheinungen, die strahlen, auch auf Leute zurück, die das überhaupt nicht kennen. Das ist erstaunlich.
Von diesen Geschichten würde ich gern noch mehr erleben.
Der Ausblick fehlt noch.
Ich bin dankbar, dass ihr hier seid. Das ist für mich ein großer Reichtum, dass wir gerade hier so sitzen. Ich glaube, das ist etwas, was ich mir wieder mehr wünsche.
Was ich mir wünsche, ist gemeinsames Arbeiten. Zeit miteinander verbringen und gucken, was da passiert. Also vollkommen frei und offen.
Frühjahr 2022