Claudia Ammann

Bildhauerin

Zart wie Stein

Während ich über die Corona Jahre erzähle, fahren die russischen Panzer in die Ukraine…. Meine Wahrnehmung zeigt mir 20, 21, 22 nicht mehr als einzelne Jahre an, eher als ein neues Kontinuum, das graduell entsteht, mir Ruhe und Gewissheit gibt. Ich lasse mehr von dem zu, was mich ausmacht. Das verändert Alles.

Wir, Jemen, Syrien, Afghanistan, Kurdistan, Amerika, Corona, Ukraine, China, Klima, Korruption, Hunger. Bürokratie. Kunst. Atome

… ich habe mir ein Feuer gemacht, um darüber nachzudenken; versinke stattdessen in der Betrachtung des Feuers. Ich wundere mich plötzlich über die Ähnlichkeit der selbstverständlichen Bewegungen der Flammen aus dem Holz und meinem Atem in mir. Ich spüre die Lebendigkeit des Lebens an sich.

Licht und Urgestein

In der Zusammenarbeit mit Verena Scholz bringen wir zwei Elemente zusammen. Es labt uns und unser Publikum, mit diesen Dimensionen zu spielen. Stein und Licht sind genauso alt wie Flammen und Atem und ich genieße es, meinen momentanen Anteil an dieser Unendlichkeit zu spüren. Durch die Norwegischen Corona –Bestimmungen wurde die seit 2016 begonnene, gemeinsame Arbeit unterbrochen.  Foto Verena Scholz

Stein. Symposium Norge

Makoto Fujiwara, mein Lehrer an der HfbK Berlin von 1976-1980, gründete 1985 das Symposion, das alle zwei Jahre internationale Steinbildhauer einlädt, die riesigen Abfallsteine zu bearbeiten. Diese Skulptur habe ich im Steinbruch Lundh’s Larvikit, Symposium Norge2000 gearbeitet; sie steht seit 2011 in Kühlungsborn.Länge 8m, Höhe 1,20m, Breite 0,70m, Gewicht 18t.  Stille Post – Greifbare Kunst in Kühlungsborn (am-weststrand.de)  Foto Verena Scholz 

Konkrete Betrachtungen

über Krise, Kunst und Leben Ich werde durch vitale Impulse angetrieben; lasse mich von meiner Intuition lenken und analysiere dann die Richtung. Kommunikation ist mein Elixier. Ich navigiere mich durch mein Leben, zu meinen Skulpturen, Themen und Projekten. Bestenfalls lerne ich langsam durch wiederkehrende äußere Krisen. Selbstgemachte Krisen verursachen Risse, die Licht hereinlassen. Wände haben unsichtbare Türen, die sich jederzeit finden und öffnen lassen. Allgemeingültiges habe ich sonst nicht entdeckt. Worte über die Unantastbarkeit der Würde jedes Menschen und eine mögliche Gerechtigkeit für Alle halten meiner Art von konkreter Betrachtung und Logik nicht stand. Von 1996 bis 1999 arbeitete ich in meinem Projekt“ bancs publics“ mit jugendlichen Strafgefangenen in der Jugend-Vollzugs-Anstalt Frankfurt/ Oder. Dort verstand ich während der Zusammenarbeit mit den jungen Männern, dass sie Schutz vor der Gesellschaft, ihren Eltern und Freunden brauchen. Sie halten fehlende Gerechtigkeit nicht aus und haben nicht viel Anderes gesehen. In der Zeit verstand ich auch, dass wirklich Ungerechte selten hinter Gittern sind. Die Männer verstanden ihrerseits, dass mit Liebe und Zartgefühl beklopfte Steine große Stücke fast freiwillig hergeben, während mit Kraft und Wut bearbeitete nur den zerstören, der sie so traktiert: Meißel kaputt, Hände blutig, Arme schmerzend, aber der Stein bleibt unverändert. Mein Resümee: Naturgesetze gelten auch für uns Menschen, da wir zu 100% der Natur angehören. Konkret besehen ist Alles da, was wir uns vorstellen können und viel mehr.

Corona-Berlingeflüchtete

Anfang 2020 kam unsere jüngste Tochter aus Berlin zu uns auf’s Land – mit ihrem Lebenspartner/Schauspielkollegen und je einem 6-jährigen Mädchen. Die viele Zeit mit meiner Familie, Kindern und Enkeln zu verbringen, bewirkte Heilung. Es war eine Zeit voller Aufbrüche. Das TurTur Theater (Sophie Ammann und Alexander Altomirianos) entstand hier auf dem Hof als Reaktion auf das schmerzliche Fehlen von menschlicher und kultureller Aufmunterung der Menschen, die in geschützten Werkstätten und Wohnungen leben. Sie haben über 70 Mal gespielt in diesem Jahr und konnten ihre Vorstellung vom Leben als Schauspieler verwirklichen.

Ähnlich ging es mir selbst. Ich arbeite mit Hingabe an einem lange anstehenden Thema, der Herstellung meiner Homepage www.quoai.net.

Das Leben »ganzheitlich« zu gestalten, war immer mein Lebensplan. Kinder, Kunst, Beziehung, Nachhaltigkeit auf eine Ebene zu stellen; zugelaufenen Tieren und jedem Gast samt all deren Bedürfnissen gerecht zu werden, war die Praxis. Ich habe überlebt. Die Idee des »Ganzen« und mein Umgang damit will neu betrachtet werden. Ich gebe mir eine neue Chance, herauszufinden, wie ich Mensch sein definieren will. Ich füge bei der Korrektur Ende Juni… dazu, dass ich zwei Ukrainische Familien – ohne Männer – aufgenommen habe…das hilft mir definitiv dabei.

Trotz oder wegen der Präsenz des Corona-Themas und jetzt des nahen Krieges, öffnet sich jeder Tag seit dem zu mehr Lebensfreude und Intensität. Paradox?

Die Corona Affäre bei der Fleischfirma Tönnies lässt mich an Brecht‘s Johanna der Schlachthöfe denken und ich sehe, dass sich nicht so viel zum Besseren verändert hat. Jetzt produzieren sie zusätzlich Veggi Food… Ich sehe, dass der Brennspiegel Corona zeigt, was ist. Das ist meine Wahrnehmung. Ich sehe selbst in diesem Spiegel deutlicher, was mir wichtig ist. Ob Steine, Soziokulturelle Projekte oder mein Mathe-Spiel-Quoai, immer ist Anwendbarkeit meiner freien künstlerischen Arbeit ein zentrales Thema. Die veränderte Zeit intensiviert alle Prozesse.

Zu meiner distanzierten Haltung möchte ich sagen, dass sie zu mir gehört. Seit meiner Kindheit ist mir die Beschaffenheit und der Rhythmus von Urgestein nah. Bis zu 2 Billionen Jahre braucht Granit, um sich auszukristallisieren. Es kann sein, dass er dann wieder ins Magma zurück fällt um umgeformt zu werden in eine andere Gesteinsart, die wieder so einen Zeitraum braucht, um zu werden, was wir Porphyr nennen.Mein Logo ist: »zart wie Stein«. Und um Stein bearbeiten zu können, ist es sinnvoll, das Verfliegen der messbaren Zeit nicht über-zu-bewerten. Eine Haltung, die zu Einsiedlern passt.

Quoai

Was meine ich mit »in den Zahlenraum eintauchen«?
Ich erlebe beim Spielen und Rechnen mit Quoai wie aus handfesten Holzbausteinen eine Piste zum Abflug in räumliche und dann auch abstrakte Sphären gelingt. Ich sehe es an den Gesichtern, an den Bewegungen der Augen und der Spannung im Körper, dass, unabhängig vom Alter, etwas Besonderes geschieht, wenn 123456789 und die 0 auf diese Weise neu erobert werden. Die Arbeit im Team, das Zulassen der Mitarbeit beider Gehirnhälften, sowie der Hände, bewirkt etwas Unbekanntes im Zusammenhang mit Zahlen und Rechnen.