Eva Schmidtchen

Puppenspielerin · Geschichtenerzählerin

Compagnie les Voisins

 

 

…weil ich es für jemanden tue!

Im normalen Leben spiele ich diplomiert mit Puppen und mache für andere Theater.

Ihr habt ja nun gerade angefangen, diesen Text zu lesen und deshalb möchte ich Euch eine Geschichte erzählen.

Sie beginnt vor zwei Jahren. Da machte ich morgens meine Tür auf und sah auf einen Haufen Steine. Einen sehr großen Haufen. Er füllte den ganzen Türrahmen und ich konnte nicht mehr auf meinen Garten blicken. Ein Zettel steckte im Haufen. »Dieser Haufen darf niemals hinter…« weiter konnte ich nicht lesen, die Schrift war ausgewaschen. Es hatte wohl geregnet.

Nun, jeder löst Probleme anders. Ich war erst mal entsetzt, dann kochte ich mir einen Kaffee und dachte nach. Um diesen Haufen abzutragen, würde ich wohl eine Zeit brauchen. Und wohin mit den Steinen? SteinIglu? Gartenweg? Trockenmauer?

Ich fing an den Haufen abzutragen. Mittags war ich platt und setzte mich mit einem Zeichenstift hin, um eine kleine Zeichengeschichte zu beginnen – jeden Tag ein Bild. Für die Familie und die Freunde, die ich jetzt erst mal nicht mehr besuchen konnte. Sie mich auch nicht. Denn ich hatte inzwischen vernommen, dass auch bei Ihnen Steinhaufen vor den Türen lagen. Ok, seltsam, aber wahr.

Nachmittags trug ich noch ein paar Steine ab, denn ich musste dringend in den Garten, die Aussaatsaison war gestartet und da heißt es jeden Abend, die Pflanzensprösslinge wieder ins Warme zu holen, um sie am nächsten Morgen erneut nach draußen zu tragen, ans Licht.

 

Ihr werdet es nicht glauben, aber am nächsten Morgen war der Haufen Steine wieder so groß wie am Tag zuvor. Ich glaub, ich war noch etwas entsetzter, auch ein bisschen wütend. Wie soll denn das weitergehen? Wie soll ich zur Arbeit kommen? Man muss ja auch mal was einkaufen oder Freunde treffen.

Dass mit der Arbeit klärte sich schnell. Ich erfuhr telefonisch, das meine Arbeit im Theater erstmal nicht stattfindet ). Das war ernst gemeint, denn jeden Morgen hatte ich einen gleich großen Steinhaufen vor der Tür, egal wieviel ich am Tag zuvor abgetragen hatte.

 

Nun, versteht Ihr, es ist m e i n  Leben. Ich bekomme keine Sekunde erstattet, nur weil ein Steinhaufen mich von ihm trennt. Zeit hatte ich auf einmal viel. Also lief ich im Haus herum und stellt euch vor, ich fand Tatsache neue Türen, die vorher nicht da waren. Da ich Blaubarts ungezogene Ehefrau bin, öffnete ich einige von Ihnen. Die mit den Wildkräutern auf der Wiese. Die mit dem aufgemalten Schaf. So entdeckte ich, wie man aus Schafwolle Stoff herstellen kann. Das ist allerdings ein echtes Universum. Und nicht nur das. Eines Tages, zwischen kardieren, spinnen und weben, merkte ich, wie gut mir das tat. Mit den Händen nicht nur jeden Tag Steine wegzuräumen, sondern etwas entstehen zu lassen. Aus einer Wollflocke einen Faden, aus zwei Fäden ein Garn und aus vielen Fäden ein Stück Stoff. Es machte mich glücklich und hielt mich und meinen Kopf gesund.

 

Aber es gab auch schwarze Tage. Zum Beispiel die beiden, an denen meine Tochter Geburtstag hatte und wir uns nicht sehen konnten, weil sie weit weg in einer anderen Stadt mit Steinhaufen vor der Tür wohnte, in die ich nicht reisen durfte. Denn neben den Steinhaufen gab es auch einen Haufen Verbote.

Ob ich die ganze Zeit nicht gearbeitet habe, wollt Ihr wissen? Doch habe ich, ein bisschen. Ein paar echte Vorstellungen mit echtem Publikum, für die man Geschichten erzählt, die man lachen hören und mit denen man sich danach unterhalten kann. Ihr merkt schon, mit virtuellen Vorstellungen, wo eine Kamera aufnimmt, was ich tue und ich mir mit großer Kraftanstrengung vorstelle, dass sich das dann jemand begeistert anguckt. Damit habe ich es nicht so. Theater ist live, lebendig und in 3D, für mich jedenfalls.

Dann waren da noch die Regien und Ausstattungen für andere Theater, ich kam also über die Runden.

Aber das ist ja nicht das Leben – über die Runden kommen.

Also ich hörte nicht auf Steine wegzuräumen und unbekannte Türen in meinem Haus zu öffnen. Fragt mich nicht wie, aber ich lernte in dieser Zeit Menschen kennen, die ich sonst nicht kennengelernt hätte. An manchen Tagen trafen wir uns, um gemeinsam Steine wegzuräumen, um in der Sonne zu sitzen, Brotrezepte auszutauschen oder spazieren zu gehen.

 

Ihr ahnt es schon, der Haufen ist noch immer vor meiner Tür. Es gehört inzwischen zu meinem Alltag, immer ein paar Steine abzutragen. Übrigens ist inzwischen ein sehr schöner Weg entstanden. Ich habe ihm einen Namen gegeben: Hoffnung.