Sternenklare Nacht mit Orion, hinter der Scheibe des Ofens
flackert es wärmend. »Künstler in der Krise«– Welche Krise?
Lesungen mit Geist und Witz – darf ich nicht seit zwei Jahren. Die Märkte, auf denen Touristen unsere Produkte erwerben, wurden abgesagt. Man speist uns ab mit einer »Neustarthilfe« nach der anderen. Wir machen Theater, aber die Aufführungen im Herbst mussten wir absagen. Wir bauen unsere Heime und Spielstätten aus und lassen uns nicht unterkrieg… »Krieg gegen Corona« ist jetzt wirklich Krieg. Aber was für ein Krieg? Krieg gegen die Krise? Haben sie sich übernommen bei den Pandemie-Maßnahmen? Ist ja nicht so, dass uns die Kriege ausgegangen gewesen wären. Vietnam, Palästina, Afghanistan, Iran/Irak, Libanon, Syrien, Libyen, Jemen, Mali, Zentralafrika. Wo die großen Blöcke sich reiben, gibt es architektonische Verwerfungen. Die große Aufregung jetzt nur wegen der geographischen Nähe? Oder weil »der Russe« schon mal hier war und möglicherweise mit Recht, vor allem aber mit Macht, zurückkommen könnte? Oder weil sich der offen bewaffnete Konflikt am Rande zweier Zentren der Ökonomie zuträgt und nicht in der Pampa? Müßige Fragen, die alle nicht den Ereignishorizont überschreiten: Warum gibt es diese großen Blöcke, warum gibt es immer mehr »Superreiche«, Firmen, die auf knapp drei Billionen Dollar geschätzt werden? Warum wundert sich der Kleinbürger immer wieder, dass er diese Entwicklungen mit hervorbringt? Das ist doch alles nichts Neues! Seit Jahrtausenden reißt irgendwer die Macht an sich und begründet Herrschaft über ein bestimmtes Gebiet. Wo dieses Verhalten herkommt und warum es erfolgreich ist, ist ungeklärt, es ist auch nicht überall so, nicht weltweit. Aber es wird immer mehr so, das hat etwas mit Produktion und Arbeitsteilung zu tun und mit Produktivität. Ich muss das nicht genauer sagen, ich bin Künstler. Marx hat den Hergang im ersten Band des Kapital in Kapitel 24 »Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation« am Beispiel Englands beschrieben. Man kann das nur beschreiben, nicht erklären. Aber man muss es beschreiben, sonst versteht man nicht, wie wir da gelandet sind, wo wir heute sind. Im Kern hat sich wer was genommen, was ihm nicht zustand. Aus dem Häuptling wurde ein Privateigentümer. Den Rest des Stammes hat er vertreiben lassen. Einfach so. Daraus wurde mit der Zeit das Proletariat unserer Tage. Krieg, Handel und Piraterie, Dreieinig sind sie, nicht zu trennen. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert, nur im Ausmaß, und die Methoden sind mitunter verfeinert, für Genießer. Oder Demokraten. Sie erzählen uns, wir lebten in einer freiheitlichen Demokratie, aber das ist nur die aktuelle Form der Herrschaft. Man verschleiert, was früher offen war. Damit der Wähler heiter auswählt, wer unsre Freiheit weiter aushöhlt. Und die Schlinge zieht sich immer enger. Marx formulierte in Notizen, die Engels posthum im dritten Band des Kapital in den Kapiteln 13 bis15 veröffentlichte – das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate, das die Dynamik erklärt, aufgrund derer diese neue Form der Herrschaft sich weltweit verbreitet. In zwanghaft endlosem Wachstum immer weiterverbreitet, verdichtet, geistiges, gesellschaftliches und wirtschaftliches Neuland schafft, alles kontrollieren und sich unterwerfen muss. Einschließlich (!) uns. Da fallen auch mal Späne. Was tun? Zumindest einen vagen Plan bräucht‘s gegen diesen Plagenwahn! Diese Frage stellen sich viele auf verschiedenen Ebenen. Immer wahr: Wo Macht auch noch Verwaltung hat, bringt nur aufrechte Haltung wat! Im Fenster leuchtet auch im Sommer nachts unser Herrnhuter Stern, als Zeichen, wir seh‘n Gäste gern, persönlich in Dresden erworben, als man noch ungespritzt in Läden durfte. Mit Kerzen gehen wir spazieren gegen die Spaltung der Hirne und Gefühle und weigern uns, auch wenn wir es jetzt wieder »dürfen«, einkaufen zu gehen.
Es gibt regionale Produkte, Vernetzung bringt erstaunlich viel zu Tage und das meiste braucht man doch eh nicht! Man trifft sich auf Demos, die Welt hier ist klein und dicht vernetzt. Man kann nicht alle leiden, man stimmt mit vielen nicht überein, aber man kommt immer wieder zusammen. Man geht sich aus dem Wege, aber man braucht sich auf dem Land. Hier kommt es auf den Menschen an, noch sind wir welche, und wir sind nicht so viele.
WONIN, März 2022