Daniela Melzig

multimediale künstlerin

 

WAS ZÄHLT?
Liebe und Freundschaft…

2019 war ein wundervolles Jahr, privat und auch beruflich. Ein neues Atelier mit öffentlicher Bühne und Residenz für Künstler:innen, ein Arbeitsstipendium, ein Gruppenstipendium mit unserer 2017 gegründeten interdisziplinären internationalen Künstlerinnengruppe CDK – the three monkeys, MX-D-US und last but not least ein Stipendium für meine vierte Ausbildung zur interdisziplinären Tanzvermittlerin. Tolle Aufträge und Ausstellungen und ich dachte so, Mensch die Welt ist groß und schön und endlich kannst Du unbesorgt in die Zukunft blicken. Es läuft! Für 2020 habe ich sogar Urlaub eingeplant und die Projekte in Mexiko waren fest verabredet.

März 2020 fast ein Datum wie der 11. September. Es hagelt Absagen. Die Jahresplanung dahin. Nun ja, wir sind Krisen gewöhnt. Also wurde sofort der Rettungsring ausgeworfen, alles Unnötige von Bord geworfen, Sparmaßnahmen eingeleitet, Gemüse angepflanzt und kalkuliert. OK, zwei Monate ohne Einnahmen gehen. Dann wird schon wieder alles vorbei sein. Erst mal die Ruhe genießen. Ich glaube ohne den ersten Lock down wäre ich ins Trudeln gekommen, so viele Projekte musste ich noch aus 2019 abschließen. Onlinearbeiten bin ich schon lange gewohnt. Schließlich war ich VORREITERIN mit zahlreiche überregionalen weltweiten Netzwerkprojekte wie zum Beispiel: 2013 Mauern überWINDen, 2015-2018 Operation KUKUK und seit 2016 mit dem KUNSTRADIUS 40km. Analoge Projekte, Kunst, Orte und Menschen digital zu verbinden, um Stützpunkte für Offenheit und Toleranz zu fördern, war und ist mein Anliegen. Mit Skypen (Videokonferenztool) und online Arbeiten fing ich schon 2005 in Belgien an. Damals jobbte ich bei einer Programmierfirma um zum Beispiel SAP Systeme in kommunale Verwaltungen einzuführen. Die Onlinejobs ermöglichten mir mein Leben als Pendlerin zwischen Belgien und Mecklenburg-Vorpommern. Eine gute Sache. Als ich 2009 hier herzog, an den Rande eines Funkloches, musste ich mein Leben komplett umstellen. 2011 hat LTE es für mich wieder erträglicher gemacht. Wenn Familie und Freunde über den halben Erdball verstreut sind, hilft Social Media das Leben der Lieben besser begleiten zu können.

Natürlich haben wir mächtig gechattet im ersten Lock down und unser kollaboratives Arbeiten weitergeführt. Das Onlineunterrichten konnte mich vor dem Harz IV Antrag retten. Es war aber nervig und anstrengend, weil es für die meisten ohne gute Technik neu und ungewohnt war. Manche Panikattacke auf der anderen Seite mussten verhindert werden. Ich war Motivation- und Mediencoach, nicht Künstler:in und Lehrer:in. Die Schulen ohne Ausrüstung, viele Kinder hoffnungslos verloren. Zum Glück hatte ich die Großen und durfte schnell wieder raus in die Schule in den analogen Unterricht mit Maske, aber live.

Ostern 2020 war ich unterwegs an die Küste, es war gerade so erlaubt. 50 km kein Mensch und kein Auto. Es fühlte sich an wie in einem Sience Fiktion Film.

Der Sommer war schön und eigentlich wie immer, voller Arbeit und Aktionen, nur irgendwie im STOPP & GO. Hin und her und alles sehr spontan und mit ständigen Umplanungen. Nervig, das sich mein Ausbildungsstart in der Tanzvermittlung verzögerte und dann nur stattfand ohne Kontakt –  alleine im Quadrat tanzen! Im Contemporary Dance eine komplett ungewohnte Situation und nicht dass was eine gute Ausbildung benötigt.

Im Oktober dann der Schock – Erneut Ausreiseverbot, Eingrenzung, Abgrenzung, keiner darf kommen, keiner reisen. Ich muss meine Ausbildung abbrechen. Wechseln von analoger Ausbildung in Berlin nach Remscheid in die Online Ausbildung. Besser als Nichts, aber nicht zu vergleichen. Mitte Dezember Quarantäne. Mein Arbeitsalltag findet nur noch online statt. Hunderte von Schüler: innen, Vorträgen, reden ohne Ende und doch ist nichts gesagt. Abends gehe ich zu meiner Freundin, gucken und fühlen ob es auch noch reale Menschen gibt. Ich werde Impfhelferin. Was soll man tun? Man weiß es nicht besser. Alles ist neu, also verzeiht die Fehler der Unwissenheit. Ich bin lieber an der Front als im Unglück zu verharren.

Meine Mexiko Reise wird auf Osten 2021 verschoben. Wir halten Kontakt. Es wird aber ruhiger. Was soll man erzählen? Man erlebt nicht viel. Ich entdecke die Felder im täglichen Spaziergang als Bühne. Mutiere zum Avatar in der Natur. Mache mir Mut mit bewegten Videoperformances.

Er ist endlos der zweite Lockdown in einem endlosen Winter. Hoffnungslosigkeit macht sich breit. Wird es je wieder anders?

Was bleibt? Nur Arbeit.

Dann beginnt der Wahnsinn der Förderanträge. NEUSTART – ganz schnell gibt es ganz viel Geld und plötzlich organisiere ich ein Festival. Sechs Monate Wahnsinn, Arbeit ohne Ende aber auch viele Begegnungen, viel Neues, partizipatorisches Tanzperformances. Die Grenzen öffnen sich wieder, keine Zeit zum Reisen und die Flutkatastrophe zerstört die alte Heimat. Eingesperrt und abgesperrt, schnell noch dies und das und schon sind wir im neuen Jahr 2022 Ausgepowert, erschöpft und freudlos. Zuviel digitales arbeiten, zu viel und niemals Zeit. Die Welt kennt nur noch arbeiten. Es muss anders werden, aber wie?

Im Februar reise ich endlich nach Mexiko, Unwirklich und wir können es kaum glauben, das Leben wird normal und doch immer wieder und weiter Krisen und Todesfälle in Freundes- und Familienkreis. Ruhe wird es nie geben. Man muss es akzeptieren.

WAS ZÄHLT?
Der Augenblick und Menschlichkeit.