Marta Olejko

Malerin · Musikerin · Schauspielerin

 

Wie hast du dich selbst gesehen vor Corona? Es ist ja ein bisschen unübersichtlich bei dir:Malerin, Sängerin, Puppenspielerin, Ausstatterin, Lebenskünstlerin… Hätte dich 2018/19 jemand gefragt, wie du dich siehst – was hättest du gesagt? 

Da war ich die Inkarnation eines Burnouts.
Ich wusste aufgrund dieser Vielseitigkeit selbst lange nicht, wie ich mich jemandem beschreiben soll, ohne mein Gegenüber mit Informationen zu erschlagen, weil ich auf so vielen Baustellen agiere. Die Frage, ob ich mich nicht besser auf Eines beschränken sollte, war immer mal wieder Thema für mich. Vielfalt von Arbeitsgebieten ist natürlich auch mit einem relativen Mittelmaß verbunden, weil man sich ja nicht vertieft in ein Thema oder Genre, sondern irgendwie alles ein bisschen macht, aber nicht »so richtig«. 
Allerdings kam irgendwann die Überzeugung, dass in dieser Vielfalt auch eine Qualität liegt.

Du brauchst eigentlich mehrere Leben, um all das machen zu können, was du willst. 

Jein. Denn im Puppentheater zum Beispiel war ich ja mit meiner Vielfalt an Neigungen und Talenten immer gut aufgehoben. Da konnte ich Ausstattungen machen, Puppen bauen, Texte und Musik schreiben, malen, darstellerisch arbeiten.
 Das hat sich aber nicht als mein Lebensmittelpunkt herausgestellt.
Irgendwann merkt man ja, ob einen das, was man tut, erfüllt und man all seine Energie da hineingeben möchte.
 Ich habe sechs Jahre lang am, damals noch staatlichen, Puppentheater Wismar gearbeitet. Diese Zeit war unglaublich bereichernd und inspirierend. Aber die mit meiner anschließenden Freiberuflichkeit als Puppenspielerin verbundene Logistik empfand ich immer als belastend. Wenn ein einstündiger Auftritt bedeutet, eine Stunde lang das Auto mit Bühne und Requisiten zu beladen, unter Umständen mehrere Stunden an den Auftrittsort zu fahren, dort ein bis zwei Stunden auszuladen und aufzubauen und nach einer fordernden Vorstellung dann dieselbe Logistik in umgekehrter Reihenfolge zu stemmen, ist das überaus anstrengend und herausfordernd. Erst recht, wenn man so wie ich damals zwei noch recht kleine Kinder hat und alleinerziehend ist.
Ich habe viele Freunde und Kollegen, die mit Leib und Seele Puppenspieler sind und die ich sehr bewundere dafür, dass sie mit aller Konsequenz diesen alles andere als bequemen Beruf ausüben.
Ich selbst aber war in der Zeit meines Lebens, in dem das Puppentheater meine fast ausschließliche Einkommensquelle war, zunehmend unzufrieden und überfordert. Ich habe damals auch all das sehr vermisst, was durch das Konzentrieren auf nur ein Arbeitsgebiet hinten runterfiel, allem voran das bildnerische Arbeiten.

Ich erinnere mich noch an deine ersten Bilder. Wie kam es  dazu, dass du plötzlich gemalt hast? Was war die Initialzündung?

Ich habe ja schon immer gezeichnet, nur eben verglichen mit meiner Bühnenarbeit nicht so umfänglich und konsequent.
Eine Art von Initialzündung gab es wohl, als ich vor 13 Jahren sechs Monate lang meine Mutter zur Pflege bei mir hatte, unmittelbar vor ihrem Tod. Sie brauchte damals rund um die Uhr Betreuung. Zeitgleich war mein jüngster Sohn erst vier Jahre alt, ich musste trotz allem irgendwie Geld verdienen und meine Ehe stand kurz vorm Scheitern. Ich war auf rasantem Weg ins Burnout. Um nicht durchzudrehen und um mir ein Ventil und eine Möglichkeit von Abgrenzung zu schaffen, habe ich mir eine Staffelei gekauft und begonnen zu malen: melancholische und augenzwinkernde Geschichten in kraftvollen Farben, Bild gewordenes Theater im Kopf. Es hat mit gutgetan, zu sehen, dass ich das kann: malen. Gezeichnet habe ich ja sehr intensiv schon seit frühester Kindheit. Diese über lange Zeit geschulte Fähigkeit kam meiner realistischen Art zu malen sehr zugute. Diese, verglichen mit meiner Bühnenarbeit so andere Arbeitsweise zu erleben, war eine sehr wohltuende Erfahrung. Auf der Bühne zu stehen bedeutet neben der ganzen erforderlichen Logistik, auf Abruf Höchstleistung zu bringen, hundertprozentig präsent zu sein und einen verpatzten Auftritt nicht korrigieren zu können. Hochfahren, Abliefern, Runterfahren auf höchstem Energielevel. Wenn ich hingegen ein Bild male, bin ich ausschließlich bei mir, muss mich nicht exponieren, kann meine Kraft einteilen, mein Tempo selbst bestimmen und kann das Ergebnis meiner kreativen Arbeit erst dann und mit gutem Gefühl aus den Händen geben, wenn ich es gefühlt auf den Punkt gebracht habe und es als richtig empfinde. Ich kann mich auf eine einzige Sache konzentrieren, ich bin am Abend nicht physisch und mental so erschöpft wie nach einem Theater-Tag. Ich muss mir keine Drumherum-Logistik bauen, muss nicht gucken, wie ich mein Kind versorge, während ich unterwegs bin. Ich kann meine geleistete Arbeit sehen und anfassen, anders als das, was ich auf einer Bühne leiste.

Ähnlich ist es mit dem Schreiben von Musik für Bühnenproduktionen anderer Kollegen und Theater. Auch das ist eine Arbeit, die ich in den letzten Jahren zunehmend öfter gemacht habe und als sehr befriedigend und erfüllend empfinde. Ich komponiere die Stücke und spiele in der Regel auch die Instrumente selbst ein, alles in völliger Konzentration auf diese eine Aufgabe, ohne Ablenkung von außen. Und wie beim Malen gibt es ein »konservierbares« Endprodukt, das ich zwar nicht anfassen, aber zumindest jederzeit wieder anhören kann.

Also du wühlst jetzt so in dir herum, gehst irgendwie ins »Innen« und bringst diese schönen Bildwelten nach außen. So, wie du es gerade beschrieben hast, ist es ja fast wie eine Zusammenfassung: All deine künstlerischen Erfahrungen, deine Ideen und dein Ausdruck fließen in deine Bildwelten. Da fehlt nur noch ein Knopf neben deinen Bildern, auf den man drücken kann, um auch noch deine Stimme zu hören…

Das ist eine spannende Anregung. (lacht)

Du hast vorhin gesagt, dass du vor Corona »das inkarnierte Burnout« warst. Wie sah dein Burnout-Alltag konkret aus?

Ich habe ca. 30 Stunden unterrichtet – Instrumental- und Musikunterricht und eine Chorleitung an insgesamt fünf verschiedenen Unterrichtsorten – mit Vor- und Nachbereitung war das allein eine Vollzeit-Arbeitswoche. An den Wochenenden hatte ich mindestens eine Vorstellung oder ein Konzert, wofür  unter der Woche Proben nötig waren. Zwischendrin habe ich in jeder freien Minute versucht, bildnerisch zu arbeiten, zu malen, Grafiken zu entwerfen und zu drucken. An einem festen Wochentag betreue ich seit 12 Jahren den Ladenverkauf im Kunsthaus »Kontor«. Dann habe ich ein Teenager-Kind zu Hause, das zwar keine Non-stop-Betreuung mehr braucht, aber das natürlich trotzdem Aufmerksamkeit und Fürsorge einfordert.
Mein Körper hatte mir schon ein paar Jahre lang zunehmend immer mehr signalisiert, dass ich meine Ressourcen zu sehr ausbeute. Und im Sommer 2019 hat er dann auf so vielen Ebenen gestreikt, dass ich nicht mehr arbeitsfähig war. Das letzte Warnsignal war, dass ich plötzlich nur noch Doppelbilder sah und so weder malen, noch Noten lesen konnte. Ab diesem Zeitpunkt konnte ich mir  nicht mehr in die Tasche lügen, dass ich mein enormes Pensum schon noch irgendwie bewältige.
Als meine stationäre Therapie Mitte März 2020 beendet war, begann der erste Lockdown.

Oh wie toll, Pause! Oder nicht?

Ja, im Nachhinein sehe ich das so.

Wie ist es dir ergangen damit?

Super!
 Es klingt sicher etwas seltsam, wenn ich sage »Corona war ein Geschenk für mich.« Es gab natürlich auch Einschränkungen, Herausforderungen und Anstrengendes.
Das ich beruflich plötzlich ausgebremst war und mich nicht, wie es meinem Naturell entsprochen hätte, sofort wieder ins Hamsterrad begeben konnte, hat mich vor mir selbst geschützt.
 Bühnenauftritte waren nicht mehr möglich, Unterrichtstätigkeit eingeschränkt.
Seit August 2019, durch mein Burnout, war ich aufstockend im ALG II-Bezug. Ich hätte mit meinem Kind nicht allein von meinem geringen Krankengeld leben können. So stand jetzt die Frage im Raum, womit ich denn ganz aktuell meinen Lebensunterhalt verdienen könnte.
Ich wollte so schnell wie möglich wieder unabhängig vom Hartz IV-Bezug sein, nicht nur aus mentalen Gründen. Ein zu geringes Angestellten-Gehalt durch ALG II aufzustocken, mag funktionieren. Eine Selbständigen-Struktur am Laufen zu halten, die ja absehbar, wieder die Basis für den Lebensunterhalt sein sollte, dafür ist Hartz IV bei Weitem nicht ausreichend und geeignet.  Diese Rückmeldung hatte ich auch während der Corona-Zeit von unzähligen Künstlerkollegen und anderweitig selbständig arbeitenden Freunden.

Meine erste Ausstellung nach dem Burnout vorzubereiten und auch die Vorbereitung zur Teilnahme an einem Kunsthandwerkermarkt, war mir nur möglich durch die selbstlose Unterstützung und Finanzierung von lieben Freunden. Dadurch konnte ich mich zum Oktober 2020 endlich aus dem Leistungsbezug abmelden. Allein mit der realitätsfernen kargen Unterstützung des Jobcenters wäre mir ein Wiedereinstieg ins künstlerische Erwerbsleben nie möglich gewesen.
Sozialer Druck war also nach wie vor da, genauso wie vor meinem Burnout und vor Corona. Der Umstand, dass ich quasi nur noch bildnerisch arbeitete und mich nicht mehr auf so vielen unterschiedlichen Baustellen verzettelte, war für meinen Heilungsprozess – der ja nach einem Burnout nicht mit dem Therapieende abgeschlossen ist, sondern mitunter viele Jahre Zeit und Umlernen braucht – enorm hilfreich.

Und dann warst du erstmal ganz oft ganz still?

Genau. Die erste Corona-Zeit habe ich fast ausschließlich im Garten verbracht. Den habe ich im Mai 2019 zusammen mit meinem Freund gepachtet. Dort konnte ich abschalten, über nichts nachdenken, in der Erde wühlen und es genießen, mich physisch auszuagieren. Es war wunderbar sinnstiftend, etwas in die Erde zu legen, was dann wächst und was man ernten kann.
Ich habe mich auch intensiver mit dem Linolschnitt beschäftigt, den ich kurz vor meinem Burnout für mich entdeckt hatte.

Konntest du diese Zeit, in der du stillhalten musstest, auch genießen? Oder hat dich die existenzielle Not erneut eingefangen?

Beides. Die ganz konkrete existenzielle Angst war ab diesem Moment wieder da, als ich mich vom Leistungsbezug des Jobcenters abmeldete und finanziell wieder komplett auf mich allein gestellt war.
 Im Vorfeld sah alles rosig aus. Ausstellungen waren wieder möglich, und eine befreundete Theatergruppe hatte mich als langfristige Bühnenmusikerin für eine ihrer Inszenierungen engagiert, mit der ab Oktober mehrere Tourneen geplant waren, u.a. nach Zürich und Liechtenstein.
Das hätte mir das Grundeinkommen jener Monate gesichert. Dann gab es jedoch schon im November den nächsten Lockdown. Theaterspielen war unmöglich und auch ein Kunsthandwerkermarkt im Dezember, an dem ich erstmals hätte teilnehmen können, durfte nicht stattfinden.
 Ich wollte unter keinen Umständen zurück in den Hartz IV-Bezug!  Die damals für Selbständige geschaffene Möglichkeit der November- und Dezemberhilfe war für mich keine Option, weil ich durch meine Krankheit im Referenzzeitraum ein Jahr vorher kein relevantes Einkommen nachweisen konnte.
Meine gesamte Unterrichtstätigkeit hatte ich nach meiner Erkrankung abgesagt, bis auf eine Chorleitung, die aber kein nennenswertes Einkommen bringt.

Haben eure Chorproben online stattgefunden?

Nein, wir konnten fast immer in Präsenz proben, nur eben leider unter sehr einschränkenden Bedingungen. Aus der kuschligen Enge unseres ursprünglichen Probenraumes mussten wir ausweichen in die räumliche Weite eines Saales, in dem der, in den coronabedingten Hygienebestimmungen, festgelegte Mindestabstand von zwei Metern zwischen den Sängerinnen gewährleistet war. Dieses räumliche vereinzelt sein ist für Laiensänger nur schwer zu bewältigen, weil sie natürlich über weniger handwerkliche Sicherheit verfügen. Die akustische Nähe der Anderen, das Chorgefühl eben, ist für das Finden der eigenen Stimme sehr wichtig.
 Dazu kam, dass die Mitgliederzahl stark schrumpfte. Einige Sängerinnen hatten sich schon während meines krankheitsbedingten Ausfalls vom Chor abgemeldet, obwohl ein lieber Kollege in der Zeit die Chorleitung übernahm. Im ersten Lockdown gingen dann noch andere weg. Im Herbst 2021 fielen durch 2G+ auch noch die ungeimpften Sängerinnen aus. Von den verbliebenen acht Chormitgliedern war immer mal jemand beruflich oder familiär verhindert. Seitdem hatte ich in den Chorproben, in der Regel, nur fünf, einige Male sogar nur zwei Leute vor mir sitzen.
 Den Chor trotzdem nicht aufzugeben, war mir natürlich schon deshalb ein Anliegen, weil ich durch ihn mein einziges fixes Minimal-Einkommen bezog. Trotzdem fiel es mir unter diesen Bedingungen schwer, motiviert zu bleiben und zusätzlich auch noch meine resignierten Rest-Sängerinnen zu motivieren.
 In dieser momentanen Situation konnte ich als Chorleiterin auf keinerlei Konzept, auf keine etablierte eigene Erfahrung zurückgreifen. Unser reguläres Repertoire war nicht umsetzbar unter diesen Umständen. Ich musste vor jeder Probe explizit die Teilnehmerzahl erfragen, Material neu zusammenstellen und Lieder gezielt neu arrangieren, um die anderthalbstündige Probenzeit sinnvoll zu füllen, meist fehlte sogar eine komplette Stimmgruppe. Mein früherer Arbeitsaufwand für die Chorproben hat sich durch Corona vervielfacht.

Allein schon die Einkommenseinbrüche haben bei mir unglaublichen seelischen Druck erzeugt. Zusätzlich gab es eben auch noch – wie hier am Beispiel meiner Chorarbeit beschrieben – in vielen Berufsgruppen die plötzliche komplette Abwesenheit von positiver Routine. In Arbeitsprozessen auf keinerlei Routine und Erfahrung zurückgreifen zu können bedeutet, ständig wach auf das aktuelle Umfeld reagieren zu müssen, permanent kreativ zu sein, ja Pionierarbeit zu leisten. Das ist mentaler Hochleistungssport und sehr kraftraubend, umso mehr, wenn es einen nicht absehbaren langen Zeitraum betrifft. Erschöpfung ist so vorprogrammiert.

Wie ist denn das JETZT mit deinem Alltag? Jetzt hast du ja viel, viel weniger zu tun, wenn man deinen Erzählungen so folgt. Was ist denn aus deinem Hang zum zu-viel-arbeiten geworden? Gelingt es dir jetzt besser, das zu vemeiden?

Nur bedingt, fürchte ich. 
Ein Burnout ist ja nicht die Folge eines konkreten Ereignisses, sondern die Summe von wiederholtem Raubbau an sich selbst, oft über viele Jahre. Und dieses ständige Missachten eigener Grenzen zu hinterfragen und das Erlernen neuer, gesünderer Verhaltensmuster sind ebenfalls ein langwieriger, anstrengender Prozess. Der Weg aus einem Burnout heraus braucht wohl mitunter genauso viel Zeit, wie einst der Weg hinein. Ich merke schon, dass ich wieder sehr aufpassen muss, nicht wieder viel zu viel zu machen und dass ich mir viel zu selten Inseln schaffe, auf denen ich Kraft tanken kann. Aber insgesamt, denke ich, bin ich auf einem sehr guten Weg.

Die Einkommenseinbrüche der Coronazeit werden allerdings noch eine Weile nachwirken. Ein im zweiten Coronajahr, im Dezember, abgesagter Kunsthandwerkermarkt hätte mir erfahrungsgemäß das Dezember- und Januar-Einkommen gesichert. Alternativ dazu sind Bilderkäufer in Vorkasse gegangen für Bilder, die ich erst noch malen muss. Damit konnte  ich mich und mein Kind im Alltag erstmal versorgen. Das aber bedeutet auch, dass ich während der Arbeit an den betreffenden Bildern kein Geld verdienen werde. Im Januar investierte ich zwei Wochen in das Konzipieren und Formulieren zweier Projekte. Für deren Umsetzung beantragte ich Stipendien. Das bedeutet auch: in dieser Zeit habe ich kein Einkommen, denn die beiden Stipendienanträge wurden bis heute (April!) nicht bearbeitet. Das Finanzloch zieht sich also weiter durchs Jahr. Zum Glück ergaben sich immer wieder auch kurzfristige Arbeitsaufträge, z.B. im Bereich Illustration und Figurenbau. Die Honorare dafür decken allerdings kaum die Schulden, die mittlerweile aufgelaufen sind – Miete, Krankenversicherung, private Darlehen.
Diese Situation ist schon sehr bedrückend für mich.

Was ich hier heraushöre ist, dass du im Grunde gar keine Chance hast, verlässlich zu planen, weil noch nicht absehbar ist, wie sich die Corona-Situation entwickelt. Dazu kommt jetzt auch noch die Verunsicherung durch den Krieg in der Ukraine. Man kann nicht wirklich nach vorne gucken, sondern nur spontan agieren und reagieren. Sonst ist man ja eher zielorientierter und das Ziel hat man ja momentan nicht.Du orientierst dich, guckst und machst, bist am Rödeln, bereitest vor und plötzlich ist das Ziel weg, weil das Geplante nicht stattfindet…

Genau.
 Wenn in den vergangenen Jahren, konkret nach meinem Ausstieg aus dem HartzIV-Bezug, alle meine geplanten beruflichen Projekte umsetzbar gewesen wären, hätte ich nicht nur meinen täglichen Lebensunterhalt bestreiten, sondern auch in die Zuarbeit in weitere Projekte investieren können, in Materialkauf oder in Zeiten ohne direktes Einkommen, wenn ich an der Staffelei stehe und male.

Der generelle Arbeitsumfang ist geblieben, steht aber in keinem Verhältnis mehr zum finanziellen Ertrag. Ein Großteil meiner Arbeit ist zunächst unbezahlte Arbeiten wie Projektentwicklung, Antragsstellung, Recherche, Akquise, Produzieren ins Blaue hinein und Kreieren von Motivationsstrategien
So wie meine Bühnenkollegen die zwei Corona-Jahre unter anderem dafür nutzten neue Inszenierungen zu erarbeiten, malte ich und druckte Grafiken. Wir waren also alle nicht untätig, ganz im Gegenteil. Wenn das alles jedoch nicht zielführend ist, also Aufführungen und Verkäufe nicht stattfinden können, man  immer irgendwie in ein schwarzes Loch hinein produziert, ohne jede Anerkennung und Wertschätzung, finanzielle wie mentale, ist das sehr deprimierend und erschöpfend.
Hinzu kommt, dass für Künstler wie mich ein Ende aller Corona-bedingten Einschränkungen nicht automatisch ein gesichertes Einkommen bedeuten, da ja grundsätzliche Strukturen verschwunden sind, die sich erst wieder etablieren müssen. Zwei Jahre lang wurde man nicht mehr gebucht, man wurde nicht angefragt – auch die Veranstalter waren ja verunsichert. Kein Bühnenkünstler hat von heute auf morgen wieder einen vollen Auftrittskalender. Jetzt müssen erstmal wieder Anfragen kommen. Wenn dann Anfragen kommen, braucht es erstmal mehrere Tage bis Wochen, um eine zwei Jahre lang brach liegende Inszenierung, die ehemals ein vielleicht viel gespielter Selbstläufer war, wieder solide zu erarbeiten, inklusive den Text lernen. Häufig ist eine Zusammenarbeit mit langjährigen Auftragsgebern gar nicht mehr möglich, weil die betreffenden Einrichtungen Corona nicht überlebt haben. Ähnlich ist es mit Galerie- und Ausstellungsstrukturen. Die in den vergangenen zwei Jahren entstandenen Zulieferer-Engpässe erschweren die Arbeitsbedingungen im bildnerischen und publizistischen Bereich, z.B. Holz und Papier betreffend.

Also hat man am Anfang vielleicht gedacht »Oh wie toll, endlich Zeit für mich, endlich habe ich die Ruhe und Muße und kann kreativ sein und tun, was ich schon immer mal machen wollte!«.  Durch diese lange Zeit war dieses Gefühl bald überstrapaziert und ausgereizt, irgendwie musste ja auch der Lebensunterhalt bestritten werden.

Genau diese Muße war ja gerade bei darstellenden Künstlern gar nicht da! Alle darstellenden Künstler haben von Anfang an geguckt: »Was für Projekte kann ich mir aus den Fingern saugen? Wo und wann kann ich was beantragen?« Dann kam das Warten und die Angst, dass das nicht bewilligt wird und oft war es ja dann auch so. Die resignierende Suche nach Alternativen Verdienstmöglichkeiten, wie Regale einräumen im Supermarkt oder Hartz IV beantragen, was dann auch wieder nicht reicht. So etwas ist belastend, das lässt einen nachts nicht schlafen. All das ist genau das Gegenteil von »nicht arbeiten und Muße haben«, denn all das ist mit Zeitaufwand verbunden. Na klar, ich kann diese Zeit auch nutzen, um Ausstattungen zu flicken oder ein neues Stück zu erarbeiten, das ist aber auch wieder Arbeitszeit ohne Einkommen. Wenn Geld geflossen ist, weil z.B. ein Projekt bewilligt wurde, musste ja dafür auch etwas geleistet und abgeliefert und dokumentiert und abgerechnet werden, also auch wieder jenseits von gewohnter Arbeit und Routine. So etwas schlaucht.

Wir haben ganz viel verloren, als Künstler. Nicht nur so etwas wie ein schönes Bonbonpapier, das wir mochten und hübsch fanden, sondern das, was wir jetzt verloren haben, ist eher der Wohnungsschlüssel. Also es ist nichts Beiläufiges verloren gegangen, sondern etwas Wesentliches.

Genau das. Ich glaube, was auch in den zwei Jahren passiert ist, ist das Sich-bewusst-werden, welchen geringen Stellenwert Kunst und Kultur haben und wie stiefmütterlich die Kulturszene behandelt wurde bzw. wie halbherzig in dem Bereich Existenzen gesichert wurden.

Wenn man genau weiß, was man kann, eine gute Ausbildung hatte, langjährige Berufspraxis und Erfahrung hat und grundsätzlich positives Feedback hatte, wenn man also mit großem und durchaus berechtigtem Selbstbewusstsein auf seine Arbeits- und Lebensleistung guckt, dann aber in einer umfassenden Krise signalisiert wird, dass das alles gesellschaftlich keine Relevanz hat und es administrativ und strukturell nicht wertgeschätzt wird, dann beeinflusst das natürlich auch das zukünftige Vertrauen in Staat und Gesellschaft. Ich glaube, man verschenkt sich dann nicht mehr so selbstlos.

Es gab im ersten Lockdown diese Tendenz, dass Künstler online unglaublich präsent waren, ihre Kreativität verschenkten, sich ermutigt und positioniert haben und natürlich auch auf sich aufmerksam machen wollten. Allerdings war da die Luft schnell raus. Es dauerte gar nicht lange bis all diese Künstler ausgepowert waren bis hin zur Resignation.
Genau dieses uneingeschränkte Verschenken eigener Ressourcen und der Kreativität, das wird es meiner Vermutung nach lange nicht wieder mehr geben.

Diese Erfahrung haben ja alle gemacht. Egal ob Künstler, Veranstalter, Einzelhändler oder Gastronomen usw.- sie  waren alle betroffen und haben alle daraus gelernt, sich einerseits nicht mehr zu verschenken, und andererseits nicht mehr so gutgläubig zu sein und zukünftig generell fordernder aufzutreten.

Ich glaube, dass im Privaten die Solidarität gewachsen ist, man rückte näher zusammen und half sich gegenseitig. »Was kannst du? Was kann ich? Wo können wir uns gegenseitig unterstützen? Wo haben wir den gleichen Leidensdruck? Jeder tut, was er kann…«. 
Aber in Richtung Staat, Politik und Verwaltung ist viel Empathie und Vertrauen verloren gegangen.

Was gibt dir gerade richtig Kraft?

Vor allem soziale Kontakte, Familie, Freunde, vielleicht sogar mehr denn je.
 Natürlich auch meine Arbeit, der Arbeitsprozess an sich, aber auch die Erfolgserlebnisse.

Gibt es etwas, was du dir wünschst, ganz privat oder gesellschaftlich?

Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht…  hm … ganz egoistisch wünsche ich mir,
dass ich meine Logistik weiter halten kann und meine Wohnung. Dass ich meinen Plan, konsequent von bildnerischer Arbeit zu leben, nicht aufgebe, mich nicht beirren und nicht entmutigen lasse. Ich merke ja, dass ich das grundsätzlich etwas leisten kann, auch unter den schwierigen Bedingungen der letzten zwei Jahre. Das war zwar sehr mühsam, aber es gab in dieser Zeit auch viel Anerkennung und Ermutigung, auch von etablierten Kollegen, die eine viel längere Berufserfahrung haben als ich.

Welche Erfahrung nimmst du ganz persönlich aus dieser Zeit mit? Ist jetzt etwas anders?

Neben dem schon beschriebenen mehr an Selbstbewusstsein, den Wert der eigenen Arbeit und die eigenen Grenzen betreffend, erlebe ich sehr gegensätzliches – eine grundsätzliche Verunsicherung, die irgendwie kleben geblieben ist, die ich in dem Maße vorher nicht kannte. Von der Hand in den Mund zu leben oder mal meine Miete und Rechnungen nicht zahlen zu können, das begleitet mich ja schon mein ganzes Leben. Jetzt erwische ich mich tatsächlich manchmal dabei, dass ich überlege: ‚Habe ich alles, was ich brauche, um unabhängig von Geldeingängen zu überleben? Habe ich genug Konserven im Haus? Wie viel Selbstversorger-Status gibt mein Garten her?‘ Da ist plötzlich so viel Existenzangst, dass ich eine Was-wäre-wenn-Strategie entwickle, um nicht durchzudrehen.
Aber ich bin auch voller Vorfreude auf ganz konkrete berufliche Projekte. Ich kann z.B. ab sofort ein Jahr lang Teil einer Galeriegemeinschaft in Sassnitz sein. Das ist hoffentlich ein weiterer Schritt in meine berufliche Unabhängigkeit und ein Schritt nach außen, um gesehen zu werden.

…und Heimat.

Sassnitz liegt auf Rügen, das ist meine Heimat, auch wenn das mit ambivalenten Gefühlen verbunden ist. Ich bin ja nicht umsonst von dort weggegangen. Aber da hat sich durch meine vielen Jahre der Abwesenheit Vieles relativiert.

Was wäre ein Zeichen, das du setzen würdest, wenn du die Gelegenheit hättest?

Ein Zeichen? Na ihr kommt aber heute mit großen, universellen Fragen! (überlegt)

Ein Zeichen wäre vielleicht dieses:

Es gibt die Idee eines Ausstellungskonzeptes, gemeinsam mit einer befreundeten Künstlerin.

Dafür möchte ich sehr großformatige Bilder malen. Die Motive sollen Alltagsgenstände sein wie z.B. kleine Spielzeuge, Schreibgeräte oder Küchenutensilien, die ich extrem vergrößert darstelle. Diese Dinge sollten möglichst Teil der Sozialisation ganz vieler unterschiedlicher Menschen gewesen sein, die miteinander ansonsten gar keine Berührungspunkte haben. In meiner Vision stehen da ein Bayer und ein Mecklenburger, ein Ossi und ein Wessi, eine Professorin und ein Altenpfleger vor einem meiner Bilder und entdecken, dass der abgebildete Gegenstand ein Teil der jeweiligen Kindheit war und sich darüber ein, im besten Falle, ein wohliger Moment von Gemeinsamkeit herstellt.

Durch Corona liegt der gesellschaffliche Fokus, nach meinem Eindruck aktuell sehr massiv auf bestehenden Unterschieden: Ist man geimpft oder nicht? Ist man dafür oder dagegen? Ist man Frau oder Mann, privilegiert oder marginalisiert, jung oder alt, schwarz oder weiss? Debatten in sozialen Netzwerken werden sehr aggressiv geführt, Zwischentöne werden nicht gesehen oder toleriert. Ich erlebe da ganz viel Trennendes, Polarisation und Radikalisierung. Ich merke, dass ich ein sehr dringendes Bedürfnis nach einem Fokus habe, der nicht auf dem Trennenden liegt, sondern auf dem Verbindenden.

Wenn eine solche thematische Ausstellung nur einen winzigen Beitrag zu einer solchen Sicht leisten könnte und sich dadurch kleine Momente von Gemeinsamkeit, Toleranz und Aufgeschlossenheit herstellen könnten, wäre ich sehr stolz und glücklich.

Soll es wie vorher oder eher wie nachher werden?

Gern ein bisschen von beidem.
Ich bin überzeugt davon, dass es gar nicht deckungsgleich wie vorher werden kann, aus den vorhin schon erwähnten Gründen. Ich hoffe zumindest, dass durch Corona verlorengegangene Strukturen sich bald wieder neu bilden und z.B. Clubs und private Bühnen, die diese Zeit nicht überlebt haben, sich neu etablieren. In dieser Hinsicht darf es gern wie »vorher« werden.
 Das »Nachher« betreffend hoffe ich, dass es nicht nur den Fokus auf dem Verlorengegangenen hat, sondern eine neue Qualität entsteht, Künstler selbstbewusster und fordernder werden, aber auch mehr Eigenverantwortung übernehmen, z.B. für eigenes Vermarkten und Verhandeln, bis hin zum Erwerb besserer Medienkompetenz.

Was tust du, wenn du nichts tust?

Am Strand in der Sonne liegen, den Wellen zuhören, schwimmen und plantschen, bis die Haut schrumpelig wird. Aber auch Steinchen suchen in jeder anderen Jahreszeit. Hauptsache am Meer sein, am liebsten an der Ostsee.

Möchtest du hin und wieder jemand anderes sein?

… … … … … nö.

Was glaubt dir kein Mensch?

Dass ich es liebe, NICHTS zu tun.

Was möchtest du lernen?

Genau das: die Entdeckung der Langsamkeit. (lacht) 
Obwohl ich da schon auf einem guten Weg bin. Dafür waren die letzten zwei Jahre sehr lehrreich. Ich habe »geübt«, dass ich nicht immer alles alleine leisten muss und auch Kompetenzen abgeben kann. Vielleicht hat diese Fähigkeit ja auch mit dem Älterwerden zu tun. Aber gerade in der Therapie-Zeit, nach meinem Burnout, ist mir noch einmal bewusster geworden, dass Ehrgeiz und Perfektionismus viel mit persönlicher Eitelkeit zu tun haben. Perspektivisch ist es mir inzwischen wichtiger, meiner Familie, meinem Partner und meinen zwei Kindern nah zu sein, mit ihnen im Kontakt zu bleiben, statt zwei drei tolle Auftritte hinzulegen, die im Vorfeld viel Zeit und Kraft saugen. Beruflicher Erfolg, der sich an Effizienz misst, ist mir nicht mehr so wichtig.

Was würdest du sofort abschaffen?

Ehegatten-Splitting, Kostenpflicht für Kinderbetreuung und Ausbildung, Gendersprache – die ich für reaktionär und ausgrenzend halte, weites Feld – und Hartz IV. Ich plädiere stattdessen für ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Mit welchem Tier würdest du dich gern unterhalten?

Das wären auf jeden Fall keine Vögel, ich habe keine wirkliche Affinität zu Vögeln…Vielleicht mit Schildkröten. Ich liebe die sehr und habe selbst zwei, und die können nicht sprechen, sich überhaupt irgendwie akustisch verständigen. Insofern fände ich es schon spannend, mal von ihnen zu erfahren, wie sie sich fühlen. Es verunsichert einen ja immer, wenn ein Gegenüber permanent schweigt. Vielleicht erfahre ich von Ihnen etwas über Gelassenheit und die Entdeckung der Langsamkeit.

Was machst du, wenn du reich bist?

Als Künstler? Arbeiten bis das Geld alle ist. (lacht)

Was ist Freiheit für dich?

Finanziell abgesichert zu sein.