Textilkünstlerin

Leben wir im Paradies oder den Mangel?

Ich fahre mehrgleisig: ich bin Künstlerin – ich arbeite als Designerin – mache kleine Jobs – habe meine Bienen.

Nach dem ersten Lockdown, zum Tag meines offenen Ateliers, waren die Leute im Sommer 2020 sehnsüchtig nach Farben, nach Kultur. Ich habe mehr Bilder verkauft als in den Jahren davor. Im Jahr darauf war alles anders: Die Leute waren unsicher, verhuscht, kamen mit Maske – ich habe keinen Kontakt bekommen. Die Menschen wussten nicht mehr, was sie nun dürfen oder nicht – was sie tun sollen. Ich habe kaum etwas verkauft.

In meinem Tagesablauf bin ich niemandem Rechenschaft schuldig – meistens kann ich machen, was für mich anliegt. Und doch dachte ich plötzlich im Lockdown: »Endlich Ruhe! Jetzt kann ich machen, was ich will!« Das hat mich selbst überrascht. Die Ruhe war ein Geschenk. Sie war vorher auch da, nur jetzt verordnet!

Ich habe wieder andere Sachen gemacht – wie schnitzen, Marmelade kochen oder mit Wolle arbeiten. Dabei hat es sich so angefühlt wie ganz früher – vielleicht bevor ich Geld verdient habe. Mit dem Geldverdienen ist etwas kaputt gegangen. Als ich so meine Wolle filzte – ganz archaische Tätigkeit – musste nicht zum Verkauf sein – musste nicht perfekt werden – fühlte sich so frei und schöpferisch an: Das war eine Kraftquelle. War das ein Vorgriff auf ein einfacheres Leben? Oder unsere Erinnerung daran? Auch wenn ich selbst den ganzen Tag tun kann, was ich will, ist mir das Leben oft nicht einfach genug!

Seit der Corona-Zeit ist es mir ganz wichtig Kontakte zu halten. Sie sind bewusster und intensiver geworden. Wir haben tiefer und persönlicher geredet. Manchmal habe ich nach einem Gespräch einfach nur dagesessen und nachklingen lassen. In dieser Zeit waren Gespräche für mich echte Tankstellen – und die Bienen!

Ich habe noch nie direkt zum Mainstream gehört. Ich bin darin geübt Außenseiterin zu sein und weiß mich in neuen Situationen zurechtzufinden. Und im Grunde umgebe ich mich mit ähnlichen Menschen: Wir haben keine Angst davor, dass es keine (vermeintlichen) Sicherheiten mehr gibt oder dass irgendetwas ausfällt – wir waren schon immer auf Kante genäht.

Wenn mich jetzt jemand fragt: »Wie geht‘s dir?« denke ich: »Ja, fast besser denn je!« Der Weg ist doch, dass wir immer mehr wir selber werden. Und je weniger es ein Außen gibt, umso mehr geschieht im Innen. Es gibt kein Vakuum – das füllt sich sofort selbst.

Glaube ich an Wunder? Es wird ein Wunder sein, wie das Leben weitergeht. Es wird nie mehr sein wie vorher – das Leben läuft nicht rückwärts. Das Spannende ist doch: „Wie geht es?“ Jetzt ist der große Schwenk. Einige haben das schon länger geübt und begriffen, dass es auf UNS ankommt. Wir sind‘s! Stattdessen wird immer noch geguckt: Wie ist die Order von oben? Wie soll ich das machen? Darf man das? Nein – WIR sind der Wandel!

Ich glaube, es geht darum, dass wir uns das Leben selbst erlauben. Die Zwänge sind im Kopf – wir bauen sie uns selber. Es ist egal, was wir machen, es geht um die innere Haltung. Ich darf!

Ich bin mehr ins Vertrauen gekommen. Hatte das mit der Pandemie zu tun? Wer weiß. Ich habe keinen inneren Mangel mehr. Ich gucke mich um und wundere mich über die Fülle, das Paradies, in dem ich lebe. Andere fahren 800 km, um hier ins Meer zu springen – ich darf immer hier sein. Das ist der totale Luxus!

Ich wünsche mir, dass wir sehr mutig sind, Selbstvertrauen haben und leben, was wir leben wollen. Nicht immer im Außen gucken – im Innen!

Dass die zwischenmenschlichen Beziehungen, das Vertrauen und der Gemeinschaftssinn noch mehr wachsen.

Unser Mut sollte noch mehr um sich greifen, damit wir dann unsere Talente leben können – nicht nur unsere Pflichten und Zwänge. Freude statt Drama.

Die Selbstverständlichkeit des Ausschließens von Menschengruppen hat mich geschockt. Dass ich jetzt plötzlich als Gefährdung für meine Mitmenschen gelte … Ich will mich nicht von anderen abgrenzen – alles ist offen. Und es wird sich alles wieder mischen. Ich bin neugierig und zuversichtlich, was die Zukunft betrifft.

Alles, was wir mal gemacht haben oder gewesen sind, spielt überhaupt keine Rolle mehr. Ob ich mal eine gute Designerin war, Preise gewonnen habe oder nicht – es ist gewesen. Wir können uns mit nichts mehr brüsten – es zählt nur das Jetzt. Ich bin jetzt gerade einfach Künstlerin – aber vielleicht reißt morgen der Faden, mir fällt nichts mehr ein, und ich kann mit keiner Farbe mehr umgehen oder ich mache etwas Anderes – dann ist das auch vorbei. Es geht darum, was machen wir jetzt? Jetzt ist doch das Leben.

Als die Schuldzuweisungen auf die eine gesellschaftliche Menschengruppe entstanden, da war ich schon verunsichert. Es kamen alte Ängste und Erinnerungen hoch und die Frage: Was passiert da?

Ich bin dann anders an meine Bilder rangegangen. Ich überrasche mich selber. Eigentlich wollte ich graue Bilder malen – und es ist alles blau geworden! Es kam ein Blaugrün – das ist etwas ganz Neues für mich. Ich probiere neue Farben, und ich entdecke mich selbst neu. Vielleicht verpuppe ich mich – oder entpuppe mich. Plötzlich ist es ganz aufregend – Hellblau? Türkis? Graublau? Ist Blau ein Starter?