André van Uehm

Fotokünstler

 

»They Shoot Horses, Don’t They?«

Wirtschaftlich und mental geht es mir dieses Jahr eigentlich wesentlich schlechter als in den Jahren davor. Was könnte passiert sein? Natürlich liegt das auch an meinen Verkäufen. Die sind immer sehr unterschiedlich und dieses Jahr eben noch nicht GUT.

Ich bin sehr spezialisiert in dem, was ich tue. Ein Grafiker bin ich nicht. Ein Fotograf eigentlich auch nicht. Das ist ein geschützter Beruf. Fotos von Kindern auf Eisbärfellen kann man von mir nicht erwarten.
Ich bin ein Künstler.

Am Anfang der Pandemie gehörte ich zu denen, die dachten, nun puscht doch mal diese Grippe nicht so auf. In den ersten Wochen las ich entspannt in meinem Glashaus gut 6.000 Seiten Belletristik. Das war gut!

Ich war mir sicher, dass ich niemals obdachlos werden und ich auch nie von Hartz VI leben wollte. Jetzt, nach einigen Wochen, trat plötzlich so ein Moment in mein Leben, in dem Alles möglich erschien. Wohnungslos wurde ich nicht.Das Netz der sozialen Hängematte ist in Deutschland so dicht, dass es echt schwer ist, hindurch zu fallen. Bei mir war das »soziale Absacken« kaum bemerkbar, weil ich einfach nur wenige Zentimeter über eben dieser Hängematte lebe.

Es gab ein Stipendien »Neustart Kultur«. Da wurde, inzwischen bestimmt fünfmal, bundesweit über unterschiedliche Institutionen die Möglichkeiten zur  Beantragung von Stipendien und Projektförderungen aufmerksam gemacht. Ich bekam diesen Hinweis auch. Dann saß ich mit einigen Kollegen und Kolleginnen bei mir im Garten, wir sprachen darüber und machten uns lustig. Was für intellektuelles Zeug müsse man sich denn nun wieder ausdenken, um diese die Staatsministerin für Kultur zu befriedigen. Wir hatten sofort einige schräge Titel parat und viel Spaß.

Ich kenne Künstler, die dieses »Neuntausenteurostipendium« bekommen haben. Ich freue mich auch für sie. Das war bestimmt eine echte Hilfe und dringend benötigt. Alle meine Anträge sind jedoch abgelehnt worden.

Manche Ausschreibungen – wie zum Beispiel die der VG Bild – waren auf unglaubliche Art und Weise ausgelobt. Das ärgerte mich so, dass ich mich darüber mit der Geschäftsführerin vom Bundesvorstand, Andrea Gysi, unterhielt. Sie sagte, der Bundesvorstand hätte versucht auf die Verantwortlichen dort einzuwirken, aber es wäre nutzlos gewesen. Ich schrieb  dann einen Brief an die Kulturbeauftragte der Bundesregierung und bat um Aufklärung. Einige Zeit später kam sogar eine Antwort auf mein Schreiben. Die Antwort war von einem Mitarbeiter des Büros verfasst und natürlich konnte dieser, von seinem Schreibtisch aus,  alle meine Argumente aus der Praxis entkräften und widerlegen. Da dachte ich, o.k. jetzt hast du dich nicht nur geärgert, du hast auch noch einige Stunden gebraucht, um diesen Brief zu schreiben – UND – jetzt lasse ich es aber auch gut sein. Diese Menschen werden nicht begreifen, wie es uns geht.

Diese Hilfsprogamme waren bestimmt gut gemeint. Für mein eigenes Gefühl aber am unmittelbaren Bedarf vorbei. Nicht nur für die Künstler- auch für andere Selbstständige! Mich erinnerte das an den Roman »They Shoot Horses, Don’t They?« von Horace McCoy.

»Nur Pferden gibt man den Gnadenstoß«

Über die VG Bild sollten rund 2.000 Stipendien á 5.000 Euro ausgegeben werden. An einem bestimmten Tag, Ab 10 Uhr, konnte man sich einloggen. Als ich an meinem PC das ersten Mal Kontakt zu der Webseite bekam, erhielt ich gegen 11 Uhr die Registriernummer 4.800. Es war wie ein Wettlauf, wie ein countdown und natürlich war absehbar, dass sich nicht Tausende früh um 10 gleichzeitig einloggen können. Auch vorab wurde schon suggeriert, dass man sich beeilen sollte – man spürt da mal rein!. Den ganzen Vorgang habe ich als sehr erniedrigend empfunden. Für mich bringt es der Film mit Jane Fonda auf den Punkt.

Es ist jedenfalls unglaublich, welche Zeit und welche Kraft die Künstlerschaft für Anträge von Projekten, Stipendien und das Beschreiben von ihren Vorhaben aufwendete. Ich wünsche mir auch, dass das nicht mehr notwendig wäre.

Wie könnte das denn aussehen? Das ist die große Frage. Außer dem Grundeinkommen für Künstler fällt mir da nichts ein. Könnte das dann für Alle gelten, die sagen, sie sind Künstler? Oder gilt das nur für die Berufskünstler? Für wen noch? Diese Gedanken sind in dieser Neidgesellschaft nicht einfach zu Ende zu denken! Vielleicht verstehen die Leute noch eher den Töpfer und den Korbmacher. Der Status der »bildenden Künstler« ist wohl sehr schwierig deutlich zu machen und in der Gesellschaft stark mit Projektionen belegt.

Für mich war die Coronazeit fast unwirklich. Eher »Fern«!

Ich brauchte in den Zeiten des Lockdowns keine Ausstellungen im Schleswig – Holsteinhaus auf – und abbauen. Das ist normalerweise ein Teil meiner Möglichkeiten regelmäßig Geld zu verdienen. Daraus entstand ein Gefühl der »Ruhe«. Ich habe mich vor einer Ansteckung nicht vorgesehen und bin aber auch nicht in der Versenkung verschwunden. Ich bekam mit, wie schwer es einige Kollegen getroffen hat. Ich hatte wohl Glück. Mich hat es  gesundheitlich nicht aus der Bahn geworfen.

Mich beschäftigt eher die gesellschaftliche Diskussion. Zurzeit erhalten immer noch Menschen Kurzarbeitergeld in ihren Festanstellungen. Für mich gab es in der gesamten Zeit zweimal 2.000 Euro. Nach welchem Maß wird gemessen? Vielleicht übertreibe ich?

Als die Coronamaßnahmen in Kraft traten, waren von meinem organisierten und in den nächsten Wochen eingeplanten Einkommen mit einem Schlag 6.000 Euro weg: eine Kuration fiel aus, zwei Honorare für Reden wurden abgesagt, Ausstellungbeteiligungen wurden ausgesetzt  und Käufer von zwei großen Bildern traten von ihrem Kauf zurück.

Manche Menschen fanden den Lockdown sicher auch gut. Ich denke, wenn ich voll bezahlt werden würde und ich mich um mich selbst kümmern könnte, dann wären diese Maßnahmen des Staates für mich auch beruhigend gewesen. So komme ich schon ins Grübeln – wird Kunst eigentlich nur geschätzt, wenn sie gebraucht wird? Wenn nicht,  wird sie links liegen gelassen. Es war nicht zu erwarten, dass freischaffende Künstler, »die erst gegen 10 Uhr anfangen zu arbeiten und sich ab 12 Uhr wieder hinlegen«, von Steuergeldern unterstützt werden, die »andere Menschen« hart erarbeiten. Die letzte Zeit hat mich darin bestätigt, dass bestimmte Berufsgruppen offenbar nicht oder schwer akzeptiert und auch wenig unterstützt werden. Dazu gehören wir soloselbstständigen Künstler.

»Wir drücken Euch die Daumen« Das war ein Satz, den ich mehrfach gehört habe.

Ich arbeitete ehrenamtlich im Vorstand des Berufsverbandes der Bildenden Künstler, saß in verschiedenen Gremien, sprach mit dem Tourismusverband und war Mitglied im Sachverständigenausschuss von »Kunst am Bau«. Was ich da manchmal erlebte! Das kann ich kaum erklären. Aber dieses Geschehen ist symbolhaft für das Verständnis für die Kunst und den Künstlern. Meine Beratung ist oft und gerne angenommen worden. Als es aber dann um die Vergütung meiner Leistung ging, gab es immer wieder erstaunliche Reaktionen. Als ob ausgerechnet der Künstler von Luft und Liebe leben könnte…

Bei den meisten Künstlern ist doch das Leben in dieser Zeit nur einigermaßen weitergegangen, weil sie Ersparnisse hatten oder so gut verheiratet waren, dass der Ehepartner die Situation abfedern konnte. Es gab auch noch die Gruppe jene Künstler, die schon vorher ganz unten auf der Verdienstleiter standen. Maximal Betriebskosten – und ansonsten gehen sie zum Hartz IV Amt«. Dem brauche ich nichts mehr hinzuzufügen – es braucht Wertschätzung für Künstlerinnen in der Gesellschaft!

Überhaupt, bräuchte es eine große Veränderung in der Gesellschaft. Auf jeden Fall müsste künstlerisches Arbeiten in Kindergärten und Schulen eine ganz andere Stellung bekommen. »Kunst« fällt ja bekanntlich als Erstes aus und wird nur von Wenigen ernst genommen. Theaterkarten müssen erschwinglich sein, damit sich auch Familien öfter im Jahr einen Theaterbesuch leisten können.

In meinen sieben Jahren in der Zusammenarbeit und dem Umgang mit der Landespolitik und der Bundespolitik erlebte ich, dass Künstler und Künstlerinnen sich eher kleiner machen und oft still hinnehmen, was sie bekommen. Es gibt andere Bundesländer, da gibt es kein »Künstler für Schüler«, keine Kunstankäufe und kein »Kunst am Bau«. Wir sind froh darüber, dass es solche Projekte in MV gibt! Diese Aktionen der Politik kommen auch nicht nur den Künstlern zugute. Nein, damit erhalten Kinder und unzählige Erwachsene der Gesellschaft auch Geschenke.

Einerseits trauen wir uns kaum zu sagen, was wir in MV alles für Fördermöglichkeiten haben, andererseits kommen wir diesbezüglich bei anstehenden Veränderungen und Entwicklungen in eine missliche Lage und Unsicherheit. Mucken wir auf oder stellen Fragen, riskieren wir Verärgerung und womöglich Verletzung. Vielleicht riskieren wir dann generell weniger Projektgelder? Diese Fragen und Gedanken stehen während solcher Gespräche immer mit im Raum. Als Künstler fühlt man sich ständig erpressbar und nicht auf Augenhöhe. Wir sind Bittsteller.

Wenn wir uns immer so klein machen – Wie machen wir uns denn dann groß?

Das ist auch schwer – Die Künstler sind sich selten einig. Vielen von uns geht es noch nicht richtig schlecht, Andere stehen direkt mit dem Rücken an der Wand. Wir sind es gewohnt so zu leben, so behandelt zu werden. Vielleicht denken auch Einige, sie werden einfach verrückt, wenn sie neben dem Kampf um das Überleben auch noch eine nächste Front aufmachen. Aufstehen im Sinne von »ich wehre mich jetzt mal«, muss man sich leisten können. Diese Kräfte muss man erst mal übrighaben.

Es geht nicht unbedingt um Geld – siehe Ausstellungsvergütung – Es geht in erster Linie auch um die gesellschaftliche Anerkennung! Es wäre ein erster Schritt, anzuerkennen, dass es »Arbeit« ist, was wir tun!

Ja, haben wir gute Zeiten – da holen wir den Harlekin hinter Vorhang vor. Er tritt auf und wenn er nicht mehr gebraucht wird, stellen wir ihn fix dahinter. Das sind dann die schlechten Zeiten – das kann so nicht weitergehen.

Eine Gesellschaft ohne Kultur ist teurer als eine Gesellschaft mit Kultur!

Wie wird sich unsere Gesellschaft verändern? Im Moment sind eher die Ellenbogen spitzer geworden. Ja – in der Theorie – in unseren Gedanken – in unseren Gefühlen gab es schon gute Ideen. Aber noch hat sich wenig verändert. Kultur leistet man sich nur, wenn es einem gut geht – wenn es uns nicht gut geht – dann leistet man sich eben keine Kultur.

Ich rechne nicht damit, dass diese Politik und Gesellschaft etwas für mich tun. Nur ich selbst kann etwas für mich tun.